Der Keim des Verderbens
Atmosphäre gelangte, passierte die Luft HEPA-Filter, und alles Bewegliche wurde in Autoklaven mit kochendem Wasserdampf sterilisiert.
Es kam zwar nicht oft vor, daß hier Obduktionen durchgeführt wurden, aber wenn, dann geschah das hinter zwei massiven Edelstahltüren mit U-Boot-Dichtungen in einem durch eine Luftschleuse gesicherten Raum, der den Spitznamen »das Boot« trug. Um dort hineinzukommen, mußten wir den Weg durch ein Labyrinth von Umkleideräumen und Duschen nehmen, an denen verschiedenfarbige Lichter darauf hinwiesen, welcher gerade durch welches Geschlecht belegt war. Grün stand für Männer, daher schaltete ich meine Lampe auf Rot, entkleidete mich bis auf die Haut und zog dann frische Turnschuhe und einen OP-Anzug an.
Die Stahltüren öffneten und schlossen sich automatisch, als ich durch eine weitere Luftschleuse zum Umkleideraum des inneren oder »kritischen« Bereichs ging. Hier hingen die dicken blauen Vinylanzüge mit den angeschnittenen Füßen und den spitzen Helmen an der Wand. Ich setzte mich auf eine Bank und zog einen an. Ich schloß den Reißverschluß und sicherte die Laschen mit einer Art Tupperware-Diagonalverschluß. Dann quälte ich meine Füße in Gummistiefel und streifte mir mehrere Paar dicke Handschuhe über die Hände, wobei ich die äußeren mit Klebeband an den Ärmelmanschetten des Anzugs befestigte. Schon wurde mir heiß. Die Türen schlossen sich hinter mir, andere aus noch dickerem Stahl öffneten sich schmatzend, und schließlich stand ich in dem beklemmendsten Autopsiesaal, den ich je gesehen hatte.
Ich griff mir einen gelben Schlauch und schloß ihn an die Schnellkupplung an meiner Hüfte an. Das Rauschen erinnerte mich an ein aufblasbares Planschbecken, aus dem die Luft herausgelassen wurde. Fujitsubo und ein anderer Arzt beschrifteten Röhrchen und spritzten den Leichnam mit einem Schlauch ab. Jetzt, wo die Tote nackt war, wirkte ihre Krankheit noch abstoßender. Die meiste Zeit arbeiteten wir schweigend, da wir uns nicht die Mühe gemacht hatten, die Gegensprechanlage zu installieren. Die einzige Art, sich zu verständigen, bestand darin, die Luftschläuche lange genug zusammenzukneifen, daß man hörte, was der andere sagte.
Das taten wir hin und wieder, während wir an ihr herumschnitten und ihre Organe wogen, und ich führte Protokoll über alle relevanten Befunde. In ihrer Aorta fanden sich Fettschichten und -ablagerungen, typische degenerative Veränderungen. Ihr Herz war vergrößert, die verschleimten Lungen wiesen erste Anzeichen einer Lungenentzündung auf.
Sie hatte Geschwüre im Mund und Läsionen im Magendarmtrakt. Doch es war ihr Gehirn, das die tragischste Geschichte ihres Todes erzählte. Sie litt unter Hirnrindenschwund, einer Erweiterung der Gehirnfurchen und dem Verlust von Hirngewebe - eindeutige Anzeichen für Alzheimer.
Ich mochte mir kaum ausmalen, wie verwirrt sie gewesen sein mußte, als sie krank wurde. Möglicherweise wußte sie nicht mehr, wo sie war oder gar wer sie war, und vielleicht hatte sie in ihrem umnebelten Geisteszustand geglaubt, irgendeine alptraumhafte Kreatur spränge sie aus ihren Spiegeln an. Die Lymphknoten waren geschwollen,
Milz und Leber durch Fokalnekrose getrübt und vergrößert - alles Symptome für Pocken.
Es sah aus, als sei sie eines natürlichen Todes gestorben, dessen Ursache wir noch nicht zweifelsfrei nachweisen konnten.
Nach zwei Stunden waren wir fertig. Ich kehrte auf dem gleichen Weg zurück, auf dem ich gekommen war, angefangen mit dem Umkleideraum des kritischen Bereiches, wo ich noch im Anzug eine fünfminütige Desinfektionsdusche nahm. Ich stand auf einer Gummimatte und schrubbte jeden Zentimeter an mir mit einer harten Bürste ab, während die Chemikalien aus stählernen Düsen auf mich einprasselten.
Tropfend betrat ich wieder den äußeren Raum, wo ich den Anzug zum Trocknen aufhängte, noch einmal duschte und mir die Haare wusch. Dann zog ich einen sterilen, orangefarbenen Anzug an und kehrte in den Bau zurück.
Als ich hereinkam, stand die Schwester in meinem Zimmer.
»Janet ist hier. Sie schreibt Ihnen gerade eine Nachricht«, sagte sie.
»Janet?« Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. »Ist Lucy bei ihr?«
»Sie steckt den Zettel dann in die Durchreiche. Ich weiß nur, daß eine junge Frau namens Janet hier ist. Sie ist allein.«
»Wo ist sie? Ich muß sie sehen!«
»Sie wissen doch, daß das im Moment nicht möglich ist.« Sie kontrollierte noch mal meinen
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