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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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als Kind gegen Pocken geimpft worden. Das war Lila Pruitt auch. Und die Frau, deren Rumpf immer noch in meinem Kühlraum lag, ebenfalls. Ich hatte die Narben gesehen, diese verblichenen, gedehnten Flächen, etwa so groß wie ein Vierteldollar-Stück, wo ihnen der Erreger eingeritzt worden war.
    Es war kurz vor elf, als wir irgendwo in tiefster Finsternis landeten. Ich hatte lange genug geschlafen, um nicht zu wissen, wo ich war, als ich die Augen öffnete. Die Rückkehr in die Realität war abrupt und laut. Die Tür glitt wieder auf. Weiße und blaue Lichter blinkten auf dem Hubschrauberlandeplatz, der gegenüber von einem großen, klotzigen Gebäude lag. Für die Uhrzeit war noch in erstaunlich vielen Fenstern Licht, als ob die Menschen extra aufgeblieben wären, um auf unsere Ankunft zu warten. Ein paar Wissenschaftler schnallten die Trage los und luden sie hastig auf ein Auto, während die Frau eine behandschuhte Hand auf meinen Arm legte und mich hineineskortierte.
    Wo die Männer mit der Trage hingingen, konnte ich nicht sehen. Ich wurde über die Straße zu einer Rampe an der Nordseite des Gebäudes gebracht und von dort ein kleines Stück einen Flur entlang. Dann führte man mich in eine Dusche und spritzte mich mit Desinfektionsmittel ab. Ich zog mich aus und wurde ein zweites Mal, diesmal mit heißem Seifenwasser, abgeduscht. An der Wand standen Regale mit OP-Anzügen und Einwegstiefeln. Ich trocknete mir die Haare mit einem Handtuch und folgte der Anweisung, meine Kleidung zusammen mit allem, was ich bei mir gehabt hatte, mitten auf dem Fußboden liegenzulassen.
    Eine Krankenschwester wartete auf dem Flur und führte mich energischen Schrittes am OP-Raum und dann an langen Reihen von Autoklaven vorbei, die mich an stählerne Tauchglocken erinnerten. Die Luft war vom fauligen Geruch abgekochter Labortiere geschwängert. Ich wurde auf der Station 200 untergebracht. In meinem Zimmer befand sich direkt vor der Tür eine rote Linie, die isolierte Patienten nicht überqueren durften. Ich betrachtete das schmale Krankenhausbett mit der feuchten Heizdecke, den Ventilator, den Kühlschrank und den Fernseher, der in einer Ecke aufgehängt war. Ich bemerkte die spiralförmigen, gelben Luftschläuche, die an Rohrleitungen angeschlossen waren, und die stählerne Durchreiche in der Tür für die Tabletts mit den Mahlzeiten, die dort bei der Rückgabe mit UV-Licht bestrahlt wurden.
    Einsam und deprimiert setzte ich mich aufs Bett. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wie sehr ich möglicherweise in Schwierigkeiten war. Minuten vergingen. Draußen fiel eine Tür laut ins Schloß, und dann wurde meine weit aufgerissen.
    »Willkommen im Bau«, begrüßte mich Colonel Fujitsubo beim Eintreten.
    Er trug einen Racal-Helm und einen Schutzanzug aus dickem blauen Vinyl, den er an einen der spiralförmigen Luftschläuche anschloß.
    »John«, sagte ich. »Ich kann nicht hierbleiben.«
    »Kay, seien Sie vernünftig.«
    Sein markantes Gesicht wirkte hinter dem Plastikvisier ernst und geradezu furchterregend, und ich fühlte mich verwundbar und allein.
    »Ich muß ein paar Leuten mitteilen, wo ich bin«, sagte ich.
    Er kam an mein Bett und riß ein Papierpäcken auf. In der behandschuhten Hand hatte er ein kleines Fläschchen und eine Pipette.
    »Machen Sie mal Ihre Schulter frei. Es ist Zeit für eine Nachimpfung. Und der Vollständigkeit halber verabreichen wir Ihnen gleich noch ein wenig Immunglobulin.«
    »Mein Glückstag«, sagte ich.
    Er rieb meine rechte Schulter mit einem Alkoholtupfer ab.
    Ich stand ganz still, als er meine Haut zweimal einritzte und Serum hineinträufelte. »Das ist hoffentlich gar nicht nötig«, fügte er hinzu. »Niemand hofft das mehr als ich.«
    »Der Vorteil ist, daß dadurch Ihr immunologisches Gedächtnis aktiviert werden müßte. Ihr Antikörperlevel wird höher sein als je zuvor. Eine Impfung innerhalb von vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden reicht normalerweise.«
    Ich antwortete nicht. Er wußte ebensogut wie ich, daß es möglicherweise schon zu spät war.
    »Wir werden sie morgen um neun Uhr obduzieren. Und Sie behalten wir zur Sicherheit noch ein paar Tage hier«, sagte er, während er die Verpackungen in den Mülleimer warf.
    »Haben Sie denn irgendwelche Symptome?«
    »Kopfschmerzen und schlechte Laune«, sagte ich.
    Er sah mir in die Augen und lächelte. Fujitsubo war ein brillanter Arzt, der bereits eine steile Karriere im Army's Armed Forces Institute of Pathology, kurz AFIP,

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