Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
verursachen.
Kein Zweifel, es handelte sich um eine Stichverletzung, vermutlich hervorgerufen durch ein Messer. Die Klinge mochte nicht sehr tief eingedrungen sein, aber oft starben die Kämpfer Tage nach der Schlacht an den schwärenden Wunden, die sie sich durch verunreinigte Waffen zugezogen hatten. Und diese Frau, klein und zierlich, wie sie war, hatte keine Chance, die Entzündung zu überstehen, solange das Fieber weiter so hoch blieb. Während er die Wunde untersuchte, berührte er mit den Fingerspitzen etwas Scharfkantiges. Etwas Metallenes, schartig und spitz.
Die Stirn in Falten gelegt, strich er mit dem Daumen über die Stelle, um zu ergründen, mit was er es da zu tun haben mochte. Jetzt bewegte sich die Frau ein wenig und stöhnte leise auf, als er das Stück Stahl berührte, das noch in ihrer zarten Haut stak.
Nun musste er rasch handeln, denn noch hatte das Fieber sie fest im Griff und trübte ihr Bewusstsein wie in einem unruhigen Schlaf. Kenricks Ziegenbalg, gefüllt mit Wein, lag neben dem Feuer. Rasch ergriff er den dünnen Lederriemen, zog den Schlauch zu sich und nahm den Korken heraus. Mit dem Wein reinigte er den Dolch. Eine kleine Lache bildete sich auf dem Boden, als er die Klinge reichlich begoss.
»Vergib mir«, raunte er der bewusstlosen Frau zu, als er sich anschickte, den gefährlichen Stachel aus ihrem Fleisch zu ziehen.
Mithilfe der Dolchspitze gelang es ihm, das Stück Metall herauszuholen, das sich bei näherer Betrachtung als Spitze eines Messers erwies. Sie war offenbar abgebrochen, als die Klinge gegen den Knochen getrieben wurde.
Er betrachtete das dreieckige Metallstückchen, das in seiner Hand lag – und in diesem Moment hörte er, wie die Frau stockend die Luft einsog. Sie schlug die Augen auf, die von strahlendem Grün waren und beinahe zu leuchten schienen. Zitternd hob sich ihm ihre Hand entgegen, blieb jedoch auf dem Ärmel seiner Tunika liegen.
»Noch ist es nicht zu spät!«, rief sie, von drängender Unruhe erfüllt. Mit einem leeren und wilden Blick, vom Fieber glasig, stierte sie Kenrick an. Ihr schlanker Arm bebte, und dennoch schloss sich ihre Hand mit unvermuteter Kraft um seinen Unterarm. Unnachgiebig. »Ihr müsst … Ihr müsst … «, stammelte sie unzusammenhängend.
Kenrick starrte verblüfft auf die Fieberkranke. Ein kalter Schauer durchlief ihn, als ihre Worte in dem hohen Raum verklangen. »Ihr seid in Sicherheit«, versuchte er sie zu beruhigen. Ihre feurigen Augen hielten ihn gefangen, hoben sie sich doch im Schein des Feuers wie funkelnde Edelsteine von dem sonst bleichen und verschmierten Gesicht ab. »Ihr seid außer Gefahr. Bleibt ruhig liegen.«
»Noch ist es nicht zu spät«, rief sie wieder, diesmal mit weniger Nachdruck. Die Lider wurden ihr schwer, benommen verdrehte sie die Augen. »Ihr könnt … « Ihr Griff lockerte sich nach und nach, bis ihr Arm schlaff zu Boden glitt. Wieder sagte sie etwas, kam aber nicht mehr über ein undeutliches Wispern hinaus. »Ihr könnt … sie retten … «
»Was redet Ihr da?«, bedrängte Kenrick sie erschrocken. »Für wen kommt die Rettung nicht zu spät?«
Doch er sah, dass sie ihn nicht verstand. So rasch, wie sie aufgewacht war, glitt sie auch wieder in den fiebrigen Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlaf. Er wartete und beobachtete sie genau, als sich ihre Züge entspannten und ihr Atem wieder flach und gleichmäßig wurde.
»Bei Gott«, stieß Kenrick hervor. Sein Herz schlug schneller, musste er sich doch erst noch von dem unvermuteten Aufbegehren erholen. Die kleine schartige Metallspitze stach in seiner Hand, die er unbewusst zur Faust geballt hatte. Nun löste er die Faust und drehte die Messerspitze in der Handfläche um. Sie war blutverschmiert und vom Körper der Frau noch immer warm, ein Dreieck dunklen Metalls, das in seiner Hand zu pulsieren schien.
Aber da war noch etwas Eigenartiges an diesem geborstenen Stück Stahl. Rasch hielt Kenrick es dichter an die Kerzenflamme. Das Licht fing sich auf dem Metall. Er betrachtete es genauer und glaubte, Verzierungen und Symbole erkennen zu können, die in das Metall getrieben waren, nun allerdings unterbrochen und schwer zu deuten.
Doch schon einmal hatte er derartige Verzierungen auf einer Klinge gesehen, damals in Frankreich, kurze Zeit, nachdem er Silas de Mortaines Verlies verlassen hatte.
Die Frau stieß einen leisen, wehklagenden Laut aus. Hatte sie etwa einer jener Helfershelfer angegriffen, die von de Mortaine gedungen worden
Weitere Kostenlose Bücher