Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
begann, den Boden zu kehren.
»Was ist?«, wollte Serena wissen. Das Schweigen behagte ihr nicht, also ging sie auf ihre Mutter zu. »Seit Tagen benimmst du dich eigenartig. Seit Rands Ankunft, um genau zu sein.«
Wieder traf sie nur auf Schweigen. Die Lippen ihrer Mutter bildeten einen schmalen Strich. Heftig zog sie den Besen über den Boden, dass die alten Binsen nur so flogen. Als es den Anschein hatte, dass Calandra ihr auch weiterhin keine Beachtung schenken würde, streckte Serena die Hand aus und berührte ihre Mutter.
»Sprich mit mir. Was macht dir Sorgen? Hab ich etwas falsch gemacht? Ist es wegen Rand?«
Endlich hob Calandra zu sprechen an. »Was machst du mit ihm, Serena? Hast du davon eine Vorstellung?«
»Wir sind Freunde, das ist alles.«
Calandra schüttelte langsam und traurig den Kopf. »Ich war noch wach … neulich nachts, als du dich wie ein Geist aus der Hütte geschlichen hast. Du wolltest zu ihm. Bis zum Morgengrauen warst du fort, und ich möchte gar nicht wissen, was du getan hast.«
»Ich wollte zu Rand, das stimmt. Aber wir haben nur gesprochen … «
»Du hast mich noch nie belogen, Serena. Also tu es auch jetzt nicht.«
»Ich lüge dich nicht an, Mutter.«
Calandra entzog Serena die Hand und strich sich die Röcke glatt. »Du weißt nicht, was du tust, Kind.«
Serena hörte den anklagenden Unterton in Calandras Stimme. »Es ist nichts passiert«, beteuerte sie.
Calandra gab einen unwirschen Laut von sich. »Glaubst du, ich bin in dieser Hinsicht blind? Ich sehe doch, wie unruhig du in seiner Gegenwart bist. Das sehe ich sogar jetzt an der Röte deiner Wangen. Mir ist klar, dass du jung bist, und vielleicht hältst du mich für töricht, aber höre auf mich, Serena. Auch ich war einst jung. Ich habe Fehler gemacht, die ich dir ersparen möchte, denn lange Zeit habe ich meine Entscheidung von damals bereut.«
»Ich habe nichts getan, das ich bedauern müsste, Mutter.«
»Du beschäftigst dich viel zu sehr mit diesem Mann«, hielt Calandra ihr vor. »Du begegnest ihm mit einer Freundlichkeit, die er nicht verdient hat.«
»Du weißt doch gar nichts über ihn und bist voreingenommen. Rand ist nicht aus freiem Willen an unsere Küste gekommen«, verteidigte ihn Serena. »Solange er hier ist, hat er uns seinen Schutz angeboten. Er hat mir seine Freundschaft und sein Vertrauen geschenkt. Ist es da falsch, ein wenig Freundlichkeit zu zeigen?«
»Seine Art von Schutz haben wir nicht nötig. Das, was er uns bieten kann, brauchen wir nicht. Denk daran, Kind.«
»Ich bin kein Kind mehr.« Sie hatte es mit leiser Stimme gesagt, doch als ihre Mutter sie nun tadelnd ansah, hielt Serena ihrem Blick stand. »Im nächsten Frühjahr werde ich zwanzig Jahre alt. Ich bin kein Kind mehr.«
»Das ist wahr«, entgegnete Calandra und klang beinahe traurig. »Das bist du nicht. Und das macht die Situation für mich umso beunruhigender. Ich mag nicht, wie er dich ansieht, Serena. Und du ihn. Er stellt eine Gefahr dar, die sich deiner Vorstellung entzieht. Jeden Tag, den er hierbleibt, bringt er uns mehr in Gefahr.«
»Was für eine Gefahr soll von ihm ausgehen?«
»Andere werden kommen. Wenn er sie nicht einlädt, werden sie wegen seines Vorhabens kommen und wie eine Meute Jagdhunde hier herumschnüffeln. Etwas muss geschehen.«
Serena dachte an die Fallen der Jäger, die sie in den letzten Monaten im Wald gefunden hatte. Davon hatte sie ihrer Mutter nichts erzählt, aus Angst, sie unnötig zu beunruhigen. In Wirklichkeit sah es so aus, dass die Leute aus Egremont neugierig wurden und die Grenzen ihrer Siedlung verließen. Die Zufluchtsstätte, die sie und ihre Mutter genossen, konnte nicht für immer unentdeckt bleiben. Ihr abgeschiedener Hafen war bereits im Schrumpfen begriffen, und das hatte überhaupt nichts mit der Ankunft von Randwulf of Greycliff zu tun.
»Etwas muss geschehen«, wiederholte Calandra. Sie wandte sich Serena ganz zu, und ein großer Ernst beherrschte ihre Züge. »Mit ihm, Serena. Ehe es zu spät ist.«
Verwirrung und Unglaube schlichen sich in Serenas Brust. »Was sagst du da?«
»Ich dachte, ich könnte es dir überlassen, eigene Entscheidungen zu treffen, aber ich sehe, dass das nicht möglich ist. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie ein Mann all das zerstört, was ich liebe. Einst war ich eine Närrin. Ich werde aber nicht noch einmal so blind sein. Und ich werde nicht abwarten, dass du die gleichen Fehler machst wie ich damals.«
»Mutter.« Serena ergriff
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