Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
ein solches Tier, wie du es beschreibst, in den engen Gassen auffallen?«
»Ich weiß doch, was ich gesehen habe, Gervaise! Ich musste pinkeln, und als ich mich umdrehte, war der Mann weg, der hier gelegen hatte,« – er deutete auf einen Winkel im Schatten – »und stattdessen stand dort dieses Tier. Genau da, wo ihr jetzt steht. Es knurrte mich an, der Geifer lief ihm aus dem Maul.«
Die Ritter tauschten Blicke und brachen dann in schallendes Gelächter aus. »Komm, Eldrich, nimm noch einen Krug Ale. Vielleicht siehst du beim nächsten Pinkeln einen Drachen.«
»Aber es ist wahr, was ich euch sage, ihr betrunkenen Kerle! Ich habe den Wolf mit meinem Schwert vertrieben – die Bestie hätte mich bestimmt umgebracht, wenn ich nicht so geschickt mit der Klinge wäre und ihr einen Hieb versetzt hätte!«
»Ja, sie hätte dich bestimmt mit Haut und Haaren verschlungen«, höhnte ein anderer der Wachtruppe. »Jetzt komm schon, großer Tierbändiger. Du könntest noch eine Runde geben und mehr von deinen Heldentaten erzählen.«
Die vier Ritter gingen prustend in die Schenke, aber Eldrich blieb noch einen Moment stehen und blickte in die Gesichter der Marktbesucher, die ihn mit einer Mischung aus Unglauben und zurückgehaltener Verachtung anstarrten. Eine alte Frau traute sich zu lachen, ehe sie von ihrem Mann weggezogen wurde. Bald gingen auch die anderen zum Markt zurück, sodass nur noch Rand und der junge Ritter in der Gasse standen.
»Ich erzähle keine Lügengeschichten«, sagte Eldrich schmollend. »Ich bin nicht so betrunken, dass ich nicht mehr weiß, was ich gesehen habe.«
»Ich glaube Euch.«
Eldrich schaute auf, sein glasiger Blick drückte Erstaunen aus. »Wirklich?«
Rand nickte. »Dieser Wolf – hatte er ein schwarzes Fell und war ungewöhnlich groß?«
»Ja!«, bestätigte Eldrich. »Er war riesig!«
»Wohin ist das Tier dann gelaufen?«
»Das weiß ich nicht genau. Es lief fort, als ich um Hilfe rief. Ich setzte dem Biest noch nach – bis zur Hausecke dort hinten – , aber als ich mich umschaute, war der Wolf nirgends mehr zu sehen.«
Rand begriff. Er wusste, dass ein geschickter Gestaltwandler in der Lage war, sich von einem Moment auf den nächsten zu verwandeln. Dadurch konnte er sich unbemerkt unter die Leute mischen. Beim Allmächtigen, womöglich war der Schurke nur Augenblicke zuvor an ihm und Serena vorbeigegangen.
»Und Ihr habt das Tier verwundet?«
Bei dieser Frage warf sich der junge Mann in die Brust und rief: »Ich gehöre zu den Rittern von Lord Thomas de Moulton und verteidige Egremont Castle mit meinem Leben. Ich hatte einen hervorragenden Waffenmeister und verfehle mein Ziel niemals. Das Tier wird die Nacht nicht überleben – wo immer es sich versteckt haben mag.«
Rand zweifelte zwar an den prahlerischen Worten, hatte aber nicht die Absicht, den angetrunkenen Burschen in seinem Stolz zu verletzen. Zurzeit hatte er andere Sorgen. Mit den Gedanken war er längst bei einer Gefahr, die nichts mit dem jungen Ritter zu tun hatte, der vor ihm stand.
Es war ein böses Vorzeichen, dass ein Wolf in Egremont gesichtet worden war. Nach der Beschreibung des Ritters war Rand sofort klar gewesen, dass es sich hier nicht um einen herkömmlichen Wolf handelte, den es während eines Beutezugs in die Nähe der Menschen verschlagen hatte, schon gar nicht im Sommer. Aber diese Dinge würde ein aufgeblasener Narr wie Eldrich ohnehin nicht verstehen. Rand indes kannte das Wesen dieser schwarzen Wölfe, denn schließlich hatte er selbst erlebt, zu was die Gestaltwandler fähig waren – in der Nacht des Überfalls auf Greycliff Castle wie auch auf der unseligen Schiffsreise in Richtung Schottland. Und wo eine dieser Bestien auftauchte, da würden alsbald weitere nachfolgen.
»Mir ist danach, dem verdammten Biest nachzusetzen und es ein für alle Mal zu erledigen«, fuhr Eldrich großspurig fort. »Sähe es nicht trefflich aus, wenn ich mit einem Umhang aus Wolfshaut in die nächste Schlacht ritte?« Mit einem schiefen Grinsen schob er seine Waffe in die Scheide zurück. Schließlich bedachte er Rand mit einem herablassenden Blick, bevor er sich umdrehte und seinen Gefährten in die Schenke folgte.
Rand hingegen bereute es einmal mehr, Serena mit nach Egremont genommen zu haben. Wenn Silas de Mortaines Gestaltwandler die Gegend unsicher machten, dann waren sie ohne Zweifel hinter dem Drachenkelch her. Und ihr schurkischer Gebieter konnte nicht weit sein.
Angespannt und entschlossenen
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