Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
der Vorbote eines aufziehenden Sturms im Raum. »War dies der Mann, der den Befehl gab, Greycliff Castle zu überfallen?«
»Ja. Das Ungeheuer, das seinen Schergen den Auftrag gab, mich und meine Familie zu ermorden. Er war es übrigens auch, der meinen Freund Kenrick of Clairmont gefangen nahm, da Kenrick sich einiges an Wissen über den Drachenkelch angeeignet hatte.«
»Kenrick, das ist dein Freund, der sein Herz der Gestaltwandlerin Haven geschenkt hat.«
»Ganz recht. Vor einigen Jahren las Kenrick während seiner Arbeit für die Kirche viel über den Schatz. Er schrieb die Ergebnisse seiner Forschung nieder, ahnte indes nicht, dass es de Mortaine war, der die Nachforschungen in Auftrag gegeben hatte. Als Kenrick bewusst wurde, dass die Ergebnisse einem zwielichtigen Mann dienen sollten, versuchte er, seine Arbeit geheim zu halten. Einige seiner Bücher bewahrte er in seiner Burg auf; ein sehr bedeutsames Stück – von dessen Existenz niemand etwas wusste – vertraute er mir an.«
»Der Gegenstand, den die Gestaltwandler suchten, als sie über Greycliff Castle herfielen«, sagte Serena und erkannte nun die Zusammenhänge.
Rand nickte. »Ein Siegel aus Metall, mit dessen Hilfe sich eines der vier Teilstücke des Drachenkelchs zeigte, sobald man das Versteck ausfindig gemacht hatte. Uns blieb zunächst keine Zeit für die Suche, denn kurz nachdem Kenrick mir das Siegel anvertraut hatte, wurde er von de Mortaines Leuten gefangen genommen und fortan als Geisel gehalten.«
»Für wie lange?«
»Ungefähr sechs Monate. De Mortaine verlangte ein Auslösepfand von Kenricks Familie. Er forderte kein Geld, sondern die geheimen Niederschriften. Da Kenricks Vater in jener Zeit starb, als Kenrick im Verlies schmachtete, kam Kenricks Schwester Ariana die undankbare Aufgabe zu, die Aufzeichnungen zu de Mortaine zu bringen.«
»Ist sie der Aufforderung nachgekommen?«, fragte Serena und schlang die Beine untereinander. Dann nahm sie einen Schluck von dem wärmenden Wein, da sie fühlte, wie eine kalte Furcht in ihr Herz kroch. »Hat Ariana diesem Schurken die Aufzeichnungen ihres Bruders ausgehändigt?«
»Nicht alle. Sie tat sich mit Braedon le Chasseur zusammen, einem Krieger, den alle nur als den Jäger kannten. Gemeinsam mit ihm gelang es Ariana, Kenrick aus dem Verlies zu befreien.« Rand lachte leise, als er sich der Einzelheiten dieses gewagten Unterfangens entsann, die Kenrick ihm erzählt hatte. »Das ist allerdings eine lange Geschichte, die ich dir ein andermal erzählen werde.«
Serena schaute Rand eine ganze Weile an, ohne etwas zu sagen. Furcht beschlich sie, als sie begriff, dass der Tag kommen würde, an dem sie sich Lebewohl sagen müssten.
»Rand«, flüsterte sie, »wenn du wirklich auf diesen Mann triffst – diesen Silas de Mortaine – , denkst du … denkst du, du kannst ihn besiegen?«
»Wenn ich über die Teilstücke des Drachenkelchs verfügte, die ich während des Sturms verloren habe, hätte ich vielleicht eine Chance. Wenn ich dann noch den letzten Kelch fände, den Kenrick in einer Kapelle in Schottland vermutet, wäre ich gewiss in der Lage, de Mortaine zu besiegen.«
»Und wenn dir die Macht der Kelchsteine nicht zur Verfügung steht, willst du dich de Mortaine dann trotzdem entgegenstellen?«
Rand blickte auf die flackernde Kerze. Entschlossenheit lag in seinen Augen, aber auch ein Anflug von Resignation. »Diesem Schurken muss Einhalt geboten werden, Serena. Er ist böse, und ich habe einen Eid geleistet. Nicht nur zum Andenken an Elspeth und Todd, sondern auch Kenrick gegenüber. Meine Ehre verlangt dies. Silas de Mortaine muss für das bezahlen, was er getan hat.«
»Auch auf die Gefahr hin, dass du dein Leben verlierst?«
Er sah sie an und nickte ernst. »Auch dann.«
Am liebsten hätte sie seine Ehre verflucht, brachte jedoch kein Wort hervor. Sie wollte ihn anflehen, von seinem Vorhaben abzulassen, doch sie wusste, dass sie ihn nicht aufhalten konnte.
Nicht einmal durch ihre Liebe – denn es war Liebe, die sie für ihn empfand.
Das süße Sehnen, das leichte Kribbeln, das sie verspürte, wenn sie bei ihm war, konnte auf nichts anderes hindeuten als auf Liebe. Da sie aber ahnte, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte – vielleicht nie erwidern konnte – , entstand der verzweifelte Wunsch in ihr, sich an ihn zu klammern. Zumal sie wusste, dass er sie bald verlassen würde.
Aber sie liebte ihn mehr als das. So sehr sogar, dass sie bereit war, sich mit der Aussicht
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