Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
sie mit ernster Miene an, trat vom Bett zurück und lehnte sich an die hölzerne Wand der Kammer. »Ich weiß nicht einmal, ob er ein Mensch ist. Wenn er je wie du und ich gewesen sein sollte, so ist nun jedenfalls nichts Menschliches mehr in ihm.«
Ein Schauer durchrieselte Serena, als sie sich ausmalte, was für ein Geschöpf Rands großer Widersacher sein mochte. Sie wusste so wenig von dem Schlechten in der Welt, kannte die bösen Absichten der Menschen nur aus den düsteren Märchen und Legenden ihrer Mutter. Daher konnte sie sich kaum vorstellen, wie jemand – ob nun Mensch oder Ungeheuer – so von Bosheit durchdrungen sein sollte, dass er nichts als Tod und Vernichtung über die Menschen brachte. »Was hat es mit dem Schatz auf sich, den du bei dir hattest und den dieser Mann an sich bringen will? Warum ist ein Kelch von solch großem Wert?«
Rands Lachen klang rau, beinahe brüchig. »Es ist nicht der Kelch an sich, sondern die Machtfülle, die diesem Schatz innewohnt.«
»Von welcher Macht sprichst du?«
»Von Reichtum. Stärke. Von der Gewissheit, dass man sich alles und jeden untertan machen kann und es niemanden mehr gibt, der es noch mit einem aufnehmen könnte. Unsterblichkeit, Serena. Das ist die Verheißung, die von dem Drachenkelch ausgeht.«
»Der Drachenkelch?« Serena neigte den Kopf zur Seite und spürte, dass die Erwähnung dieses Namens Erinnerungen wachrief. »Den Drachenkelch gibt es nicht wirklich«, sagte sie und sah, dass Rand sie nun mit einem sonderbaren Blick musterte. »Das ist bloß eine wunderliche Geschichte. Als ich klein war, erzählte mir meine Mutter von dem mystischen Schatz.«
»Du weißt also davon?«
»Ich kenne die Sage von einem verzauberten Kelch, in dessen Schale sich vier magische Edelsteine befinden.«
»Was weißt du sonst noch darüber?«, fragte Rand, und ein wachsamer Ton schlich sich in seine Stimme. »Hast du den Kelch jemals gesehen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Serena und schüttelte den Kopf. »Niemand hat ihn je gesehen. Es ist ein Mythos, mehr nicht.«
Rand sprach nun mit sehr ernster und eindringlicher Stimme. »Erzähl mir diese Sage, Serena, wie du sie von deiner Mutter gehört hast.«
»Wenn du magst.«
Also berichtete sie von dem legendären Kelch, denn dies war immer schon ihre Lieblingsgeschichte gewesen. Sie erklärte, wie der Drachenkelch von einem bösen Krieger aus einem glorreichen Königreich gestohlen wurde. Hierauf sei der Kelch durch den geheimen Zauber des Reiches in vier kleinere Gefäße zerfallen, von denen jedes einen Edelstein trug, der von einer überirdischen Macht erfüllt war. Der Zauberspruch eines Magiers habe die vier Teilstücke sodann über die Reiche der Sterblichen verteilt. Die Kelche lägen bis auf den heutigen Tag im Verborgenen, und nur eine edel gesinnte Seele könne dem Kelch wieder die ursprüngliche Form verleihen und dem verlorenen Königreich zu altem Ruhm verhelfen. Aber Serena wusste noch mehr zu berichten. Und so erzählte sie von der furchtbaren Weissagung, nach der die Bewohner des verlorenen Königreichs unter die Herrschaft eines schrecklichen Drachen fielen, falls der Schatz von einem Menschen zurückgebracht würde, der Böses im Sinn hatte und der Macht des Kelchs nicht würdig war.
Als sie geendet hatte, schaute Rand sie mit gerunzelter Stirn an. »Beim Allmächtigen«, entfuhr es ihm.
»Das ist eine meiner Lieblingsgeschichten«, fügte Serena hinzu, aber als sie Rands grimmige Miene sah, begann sie zu ahnen, dass die Sage um den Drachenkelch womöglich mehr war als reine Legende. »Meine Mutter hat mir erzählt, diese Geschichte sei in meiner Familie schon lange bekannt. Über viele Jahrzehnte hinweg wurde die Sage von einer Generation zur nächsten weitergegeben.«
»Was deine Mutter dir auch immer erzählt hat, es ist kein Märchen, Serena. Ich habe den Drachenkelch gesehen – zumindest einen Teil davon. Es gibt diesen Kelch wirklich, ebenso die Macht, die von ihm ausgeht. Deshalb suchen diese Schurken nach dem Kelch, um sich an der Machtfülle zu bereichern.«
Serena nahm einen kleinen Schluck Wein und stellte sich für einen Moment vor, was es bedeutete, wenn Rands Worte der Wahrheit entsprächen. »Was ist mit dir? Du bist auch auf der Suche nach dem Kelch. Was würdest du mit ihm machen?«
»Ich würde ihn zerstören, wenn ich es müsste. Ich würde alles versuchen, damit er nicht in die Hände eines Mannes wie Silas de Mortaine fällt.«
Der Name dieses Schurken hing wie
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