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Der Kelim der Prinzessin

Der Kelim der Prinzessin

Titel: Der Kelim der Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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der wir im Okzident
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    noch gar nichts wussten, nicht einmal ahnten. Nur eine so außerordentliche Persönlichkeit wie die Grande Maitresse besaß, das geheime Wissen um die Größe von Gottes Welt!
    Mein beredtes Schweigen verband sich mit der Last, die ihre Eröffnung auf meine Schultern gehäuft hatte. Doch zum weiteren Male überraschte mich die ehrwürdige Meisterin mit einer völlig neuen Wendung.
    »Ich will«, erklärte sie mit frisch gewonnener Bestimmtheit, »ich will Euch die Einleitung zu Eurer weiteren Arbeit diktieren, William von Roebruk.«
    Der Kustos trat ein und händigte mir meine Pilgertasche aus, mit allen Schreibutensilien, deren ich als Chronist bedurfte. Ich glättete das Pergament und tauchte die Feder in das mitgebrachte Tintenfässchen. Ich war bereit.
    Während sie mich noch warten ließ, kreisten meine wirren Gedanken um Roc und Yeza: Wussten sie von dem, was von ihnen erwartet wurde?! Würden sie sich bereit finden, der geheimen Bruderschaft dieses Verlangen zu erfüllen, das über ihre eigene Existenz hinaus die Verwirklichung des Großen Plans auf ein Kind übertrug, das noch ungeboren war? In ihren Augen wäre es das natürliche Zeugnis ihrer einzigartigen Liebe zueinander - das große Glück im Leben zweier Liebender - und die Gnade Gottes! Für den berechnenden Orden käme es hingegen einem akzeptierten Verzicht des Königlichen Paares gleich, auf der unmittelbar erwarteten Krönung zu bestehen? Mit der Geburt eines Kindes hätten Roc und Yeza ihre Aufgabe dann erfüllt - kam das nicht einem Urteil gleich? Mir schon! Eigentlich müsste ich sie warnen -
    Die harte Stimme der alten Frau riss mich aus meinen Zweifeln, sie sprach langsam und deutlich, doch wie in Trance:
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    Kaum waren ihre Worte verhallt und ich hatte mit kühnem Federstrich den mir schon geläufigen Abschluss zu Pergament gebracht, geleitete mich mein Kustos hinaus in den Hof der Burg Safed. Ich muss ihn fragend angeschaut haben, als er sich von mir verabschiedete.
    »Es ist nun an Euch, William von Roebruk, - nach dem Willen, den Ihr vernommen, und in diesem Sinne mit der Chronik fortzufahren!«
    TIEF IN DER NACHT erreichte die geheimnisvolle schwarze Sänfte Damaskus, Syriens prächtige Hauptstadt.
    Im Gefolge der Grande Maitresse befand sich auch William von Roebruk. Der Templerorden besaß in Damaskus verständlicherweise kein eigenes Haus, begünstigte jedoch seit eh und je die hiesige Niederlassung der Zisterzienser, sodass Marie de Saint-Clair dort ohne Umstände Aufnahme fand. Das Kloster mit dem angrenzenden Kirchlein des heiligen Johannes und großzügig ausgestattetem Hospital lag gleich hinter der Moschee an der nördlichen Stadtmauer unweit des Bab halap.
    Am nächsten Morgen - William hatte es sich angewöhnt, bereits vor Tagesanbruch reisefertig zu sein - ließ sich die alte Dame viel Zeit, denn sie zog noch Erkundigungen ein. Der Franziskaner musste in der ihm zugewiesenen Klosterzelle warten, bis sie ihn rufen ließ.
    »Ich wünsche selbst mit Roc Trencavel zu sprechen -«, teilte sie ihm mit ihrer heiseren Stimme mit, »- bevor er den falschen Schritt begeht, der sich schon anbahnt.« Wie immer sprach sie mit dem Mönch durch den Vorhang der Sänfte verborgen - so wie
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    sie es übrigens auch mit allen anderen hielt. Marie de Saint-Clair übermittelte ihre Wünsche, die Befehle waren, nur in allerknappster Form, doch war sie stets über alles, was sich um sie herum abspielte, genauestens informiert.
    So trafen sie genau dann an dem großen Platz mit dem ausgebreiteten Teppich ein, als der Trencavel mit seinem kleinen Gefolge, den Okzitaniern und den Rittern aus Antioch, die Decumana von Osten heraufkommend, um die Ecke bog, wo ihn auch voller Stolz der Baouab erwartete. Angesichts des unerwarteten Kelims wollte Roc sich gerade wutentbrannt wieder abwenden, als ihm William den Weg versperrte und stumm auf die Sänfte hinwies. Der Trencavel wusste genau, mit wem er es zu tun hatte, dennoch trat er wenig ehrerbietig an das schwarze Gehäuse heran. Die Grande Maitresse ließ ihn schmoren, bevor sie endlich mit ihrer heiseren, unverkennbaren Stimme das Wort an ihn richtete.
    »Erwartet von mir kein Willkommen, Roc Trencavel!«, knurrte sie dann unvermittelt. »Von wem und in wessen Namen wollt Ihr Euch allein zum >Malik< von Damaskus ausrufen lassen - und dazu noch im Alleingang?!«, rügte sie mit leichtem Spott in ihrer Greisinnenstimme. »Der Königstitel hat hier weder dynastische Tradition,

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