Der Kelim der Prinzessin
wenig.«
Groß-Prior: »Es sei denn, alle würden sich mit Geld und Macht und vor allem mit Inbrunst für ein solches
>Divina Hierosolyma< des Friedens einsetzen. Wir, magistri templi Salomonis, an der Spitze!«
Grande Maitresse: »Aber würde das nicht zur Unterdrückung der arabischen Völker führen, des islamischen Glaubens? Und auch das Kalifat von Bagdad und das Sultanat von Kairo müssten seine Oberhoheit anerkennen, anstatt um seinen Besitz zu zerren, und Damaskus müsste seinen großsyrischen Traum aufgeben und stolz in den Schatten der Heiligen Stätten treten.«
Groß-Prior: »Kaum vorstellbar!«
Grande Maitresse: »Ebenso wenig ist es vorstellbar, dass sich die Christen jetzt zu einer Duldung Andersgläubiger durchringen,
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die sie seit Menschenaltern nicht mehr aufbrachten. Zudem wären nun auch die Muslime nicht mehr bereit, einer solchen Wendung Glauben zu schenken. Also müssen wir Abschied nehmen von Jerusalem.«
Groß-Prior: »Oder müssten vielleicht die Religionen neu bedacht werden? «
Grande Maitresse: »Auszuschließen von jeder zu formenden Gemeinschaft ist als Erstes das Tier!«
Groß-Prior: »Aber auch der Islam wies schon immer Züge von Intoleranz auf.«
Grande Maitresse: »Lediglich die Minnekirche des Gral bietet sich für eine solch übergreifende Aufgabe an.
Besinnung auf den Ursprung: Jesus von Nazareth, der Paraklet, Prophet wie Mohammed - das ist auch für den Islam annehmbar. Beider dynastisches Blut ist vorhanden, wenn auch im Verborgenen.«
Mit diesen Worten schien die Grande Maitresse das Colloquium beendet zu haben, von ihrem Gegenpart, dem Groß-Prior Karl von Gisors, kam jedenfalls keine Antwort mehr, und das sagte für mich mehr als Worte. Der Gral?! Beide hatten wohl die Bibliothek wieder verlassen. Ich hatte mir zum Schluss von einem Bein aufs andere getreten, der Druck auf meine Blase war unerträglich geworden. Jetzt musste ich wirklich erst mal pissen! Aber wohin? Der immer noch reichlich vorhandene Wein in der Karaffe deuchte mir - weiß Gott! - zu schade, ich gedachte ihn jetzt in aller wohlverdienten Ruhe mit Genuss auszutrinken. Blieb nur noch der Wandschrank: Gut gezielt ist mehr als halb gewonnen!
Erleichtert, geradezu glücklich und befreit, wendete ich mich wieder der noch verbliebenen Lektüre des >Großen Plans< zu, dessen Sinn mir nach allem Gehörtem nun vielleicht in einem ganz anderen Licht erscheinen würde?
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Wie lange ich sinnend vor den letzten Seiten des Konvoluts gestanden bin, weiß ich nicht mehr. Irgendwann musste ich mich gesetzt haben. Das Gelesene hatte mich aufgewühlt, vielleicht mehr noch als damals, als ich die Schrift zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Es war die Prophetie vieler Zeilen, die - vor nunmehr sechzehn Jahren verfasst - sich inzwischen in vielen Entwicklungen und Ereignissen längst bewahrheitet hatte, die mich erschrocken hatte. Wer mochte der Autor gewesen sein? Er war schon im Jahre des Ursprungs des Großen Plans im Verborgenen geblieben, aus gutem Grund, denn er konnte sich der erbittertsten Verfolgung sicher sein! Nach meinem Dafürhalten musste er den Rang eines Secretarius innegehalten haben, in des Wortes wahrster Bedeutung - vergleichbar vielleicht mit der Position, die heute Lorenz von Orta zu bekleiden scheint? Beim Grübeln über seine Rolle innerhalb des geheimnisvollen Ordens musste mich der Schlummer - auch Dank des mittlerweile bis zur Neige genossenen Weines - dann doch übermannt haben.
Ich erwachte erst, als der Kustos - wohl schon längst eingetreten -vor dem Tresor stand und die letzte gepanzerte Eisentür geräuschvoll verschloss. Das Schreibpult war wieder leer geräumt. Ich lag -noch mit meiner verschwitzten Reisekleidung angetan - auf dem Boden neben meinem Schreib- und Lesepult, zwischen abgenagten Hühnerknochen und der leeren Karaffe.
»Ihr werdet im Refektorium erwartet, William von Roebruk«, ließ mich mein Betreuer wissen und zog den Schlüssel ab. »Ich werde Euch begleiten, wenn Ihr Euch ordentlich hergerichtet habt!« Er wies
unmissverständlich auf das kupferne Becken hin, das mit frischem Wasser gefüllt war, auf dem Rosenblätter schwammen. Ich folgte mit Wohlbehagen seiner Aufforderung.
Als ich das Refektorium betreten durfte, begriff ich sofort, dass die ansonsten so unnahbare alte Dame mich zu sprechen wünschte. Endlich! Mir gegenüber, an der Stirnwand des ehrwürdigen Saals stand die schwarze Sänfte, solide gearbeitet wie eine mächtige Schatulle, breit
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