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Der Kelim der Prinzessin

Der Kelim der Prinzessin

Titel: Der Kelim der Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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geschwungen und auch mit ausreichend Kopfhöhe.
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    Desgleichen waren die Tragstangen nicht für vier Bedienstete gearbeitet, sondern für deren acht, und die standen auch in ihren schwarzen Wämsern, die Arme vor der Brust verschränkt, rechts und links neben dem Gehäuse der berühmten Großmeisterin des Bundes. Die Gesichter der Turkopolen waren von wollenen Ganzmasken verhüllt, die ihnen den Anstrich von Henkersknechten verliehen. — So wirkten sie zumindest auf ein schreckhaftes Gemüt wie mich. Hinter der Sänfte an der Saalwand standen die Ritter der Eskorte der Grande Maitresse in voller Rüstung, nur, dass sie ihre furchterregenden Lanzen nicht mit sich führten.
    »Tretet näher, William von Roebruk!«, befahl ihre heisere Stimme aus dem Innern. Ich trat zögerlich vor, bis zu der Kordel, welche die vordersten der Knechte Abstand heischend vor der Sänfte gespannt hielten. »Ihr hattet Gelegenheit, den alten Text nochmals zu lesen«, sagte sie streng, »den Ihr unbefugterweise schon vor Jahren an Euch gebracht -«, mir rutschte unter der meinen Wanst umspannenden Kutte das Herz in die Leibwäsche - oder noch tiefer, doch die Stimme gab sich zu meinem Erstaunen plötzlich milde. »Was ist Euch an Unstimmigkeiten zwischen der damaligen Bestandsaufnahme und der heutigen Lage aufgefallen?«
    Mit derart inquisitorischer Fragestellung hatte ich nicht gerechnet, ich fühlte mich - wohl zur Strafe für meine nicht zu leugnende Neugier - überrumpelt und brachte nur ein unsicheres Stammeln hervor. »Die Mongolen?«, flüsterte ich. »Das Eingreifen der Mongolen war nicht bedacht - nicht vorgesehen?«, verbesserte ich mich zaghaft.
    »Und sonst?!«, forschte die Stimme ungeduldig weiter, schon weit weniger nachsichtig gestimmt.
    Ich zermarterte meinen armen Kopf. »Eine Verschmelzung der Nachkommen aus dem Hause David mit der Blutslinie des Propheten Mohammed hat bislang nicht stattgefunden?«, riet ich aufs Geratewohl, nicht wissend, was ich mit meiner Offenheit riskierte.
    »Sie wird auch nicht vollzogen werden!«, bekam ich ungehalten zu hören. »Was hingegen die Nachfahren des Dschingis-Khan anbelangt - «, mir war, als hätte ich einen tiefen Seufzer vernommen, »sie sind kein Element des Wesens, aus dem ein Reis entspringt,
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    sondern höchstens als Vollstrecker unseres Willens brauchbar!« Die Enttäuschung der alten Dame war deutlich herauszuhören. Ich hüllte mich wohlweislich in Schweigen, zumal auch mir der Gedanke befremdlich erschien, die Zukunft könnte bei diesen Barbaren aus den fernen Steppen liegen. »William von Roebruk!«, riss mich der befehlsgewohnte Ton aus meinem Grübeln. »Ihr habt Euch stets als der Hüter von Roc und Yeza aufgespielt.«
    Mir wurde flau im Magen. »Doch seid Ihr nichts als der säumige Chronist des Weges, den das Königliche Paar nimmt! Nicht mehr, aber auch nicht weniger als das!« Sie ließ mir keine Zeit, Atem zu holen für jeglichen Einwand, oder gar zu widersprechen. »Dieser Weg tritt in seine entscheidende Phase ein, reißt Euch also am cingulum Eures Ordenskleides und zeigt Euch von nun an dieser verantwortungsvollen Aufgabe gewachsen und würdig!«
    Nun musste ich doch mein Maul aufmachen, auch wenn es wirken mochte wie das Schnappen eines
    Ochsenfroschs im Teich nach Luft. »Wird denn ihre Krönung nun stattfinden, werden Rog und Yeza den Thron einnehmen?« Ich fühlte die eiskalten Augen der mächtigen Großmeisterin des Geheimen Bundes auf mich gerichtet - ähnlich dem Starren des Reptils auf den fetten Brummer auf dem Blatt der Seerose -
    »Man kann dieses Paar inthronisieren.« Die Antwort kam gequält und unendlich müde. »Doch Hoffnung besteht nur bei der Vermischung ihres Blutes, also eines Nachkommens, mit der spirituellen Kraft des Ostens, wie sie auf dem Dach der Welt, an den Hängen der höchsten Gipfel auf Erden zu finden ist. Dort wächst in gewaltigen Klöstern und erhabener Einsamkeit ein Menschenschlag heran, dem die Zukunft gehört - « Ich wagte nicht zu atmen. »Aus dem Land der aufgehenden Sonne, nicht mehr aus dem des Abends kann sie kommen - oder ...« Die prophetische Stimme der betagten Großmeisterin erstarb zu einem nicht mehr hörbaren Laut. Also ein Kind, ein noch zu zeugendes Kind war die letzte Hoffnung. Ich traute mich nicht, meine Erkenntnis in Worte zu fassen, noch einmal nachzufragen, ob ich richtig verstanden hatte. Es musste also außer den Mongolen im fernen Orient noch ganz andere Völker geben, mit einer Kultur, von

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