Der Kelim der Prinzessin
zerfetzte Reste hingen noch zwischen den erschlagenen Körpern, die man nicht einmal ihrer Waffen beraubt hatte. Alles musste in größter Hast erfolgt sein, wahrscheinlich um die Beute sofort in Sicherheit zu bringen, denn zwischen den mongolischen Kriegern, die bis zuletzt erbitterten Widerstand geleistet hatten, lagen auch etliche tote Damaszener. Man hatte sie ebenfalls den Geiern überlassen, die jetzt schon über der Walstatt kreisten. Yves schaute hinauf zu den Zinnen der Zitadelle. Nichts rührte sich dort oben. Schließlich entdeckte er den Hauptmann Dungai, der anscheinend versucht hatte, den Räubern zu entfliehen, denn schon aus vielen Wunden blutend, musste er noch das Tor des Klosters erreicht haben, bevor ihm ein Hieb den Schädel spaltete. Yves überflog die Anzahl der toten Mongolen, sie stimmte überein mit den Angaben Khazars. Ein Wunder, dachte der Bretone erbittert, wenn die Prin-349
zessin das Gemetzel unversehrt überstanden hatte, aber schließlich wusste sich Yeza sowohl zur Wehr zu setzen als sich auch vor Schlag und Hieb zu schützen. Er betrat das Kloster. Kein Bruder Pförtner wie gewohnt, alles schien wie ausgestorben. Er schritt die Treppen hinauf und vernahm endlich leises Gemurmel. Die Tür zum Refektorium war von außen verrammelt, er stieß die Balken beiseite und riss die Tür auf. Alle Mönche kauerten ängstlich in der äußersten Ecke des Saals und beteten. Die Angreifer von der Zitadelle hatten sie schon zurzeit der Vesper überrascht und hier eingesperrt, bei Androhung von grässlichen Toden, falls sie auch nur einen Laut von sich gäben oder gar zu fliehen versuchten. Yves fragte nach der Grande Maitresse und stieß auf völlig erstaunte Mienen: Seit den so tragisch geendeten Krönungsfeierlichkeiten des Roc Trencavel habe die hohe Dame nicht mehr in den Mauern des Klosters geweilt - noch habe sie ihren neuerlichen Besuch angekündigt!
»Lorenz von Orta?«, hakte der Bretone nach, ja, der sei sehr wohl ihr Gast, aber gestern Abend, ungefähr zurzeit des Überfalls, hätte er sich zum Palast begeben. Keiner wusste es genau, auch nicht, ob er heimgekehrt wäre.
Yves scheuchte die Mönche aus dem Refektorium, sie sollten in allen Räumen des Hauses Ausschau nach dem Franziskaner halten. Es dauerte nicht lange, da hallten entsetzte Rufe aus den Stallungen. Im Schweinekoben hing der nackte Körper des Sekretärs, an einem um die Beine geschlungenen Strick, mit dem Gesicht - oder was noch von ihm übrig war -nach unten, zwischen den grunzenden Säuen!
Der Bretone befahl ihnen barsch, den Leichnam des Lorenz von Orta angemessen zu bestatten und auch vor dem Kloster die Körper ordentlich aufzubahren und sie vor den Attacken der Geier zu schützen.
Yves verfluchte den Kumiz und dass er sich von Kitbogha und seinem General Sundchak hatte breitschlagen lassen, am Vorabend auf die bevorstehende Krönung zu trinken. Sundchak hielt zwar nichts von der Idee des Königlichen Paares, weswegen sein Vorgesetzter ihn umso mehr mit Trinksprüchen traktierte, was schließlich in einem großen mongolischen Besäufnis endete, nur dass
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Sundchak sich als der Trinkfestere erwies und die Runde spätestens verlassen haben musste, als Kitbogha und der Bretone unterm Tisch lagen. Wäre dem nicht so gewesen, hätte Yves bereits am Abend das Kloster aufgesucht, wo er sein Quartier hatte, und alles wäre vielleicht anders gekommen, zumindest nicht so erbärmlich und beschämend!
Yves zog sein Schwert, dass die riesige Klinge weithin sichtbar in der Sonne glänzte, und begann den mühsamen Aufstieg zum Tor der Zitadelle. Jeden Moment erwartete er den einsetzenden Pfeilhagel von oben, das war dann eben der Preis, den zu zahlen er bereit war - für den Raub der Prinzessin, der sich quasi vor seinen besoffenen Augen abgespielt hatte. Aber nichts dergleichen geschah. An dem doppelt und dreifach gesicherten Haupttor der Festung erwarteten ihn neugierig bis zu den Zähnen bewaffnete Wächter und führten ihn auf sein Verlangen hin zum Kommandanten. Der stand mit Yeza, die einen Verband um die Stirn und den einen Arm in der Schlinge trug, oben auf der äußersten Bastion. Von dort fielen die Mauern in leichter Schräge tief nach unten ab, und der Blick vermochte ungehindert über das Kloster und die Moschee zu schweifen, selbst der Große Platz und der dahinter liegende Palast waren gut einsehbar. Kaum, dass der Kommandant des Bretonen ansichtig wurde, nahm er seinen Scimtar und zersäbelte mit mehreren
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