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Der Kelim der Prinzessin

Der Kelim der Prinzessin

Titel: Der Kelim der Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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entwickeln würden. Zu oft in den letzten Tagen hatten sich die groß angekündigten Ereignisse gegenseitig aufgehoben, geradezu auf den Kopf gestellt. Eines einte die Eingeschlossenen allerdings, das war die grundsätzliche Ablehnung der mongolischen Besatzer und eine tiefe Verachtung für diese heidnischen Barbaren, da standen ihnen selbst die Christen näher, die besaßen wenigstens einen Glauben, wenn auch den falschen. Doch die Zugehörigkeit zur gleichen Religion des Islam stellte keineswegs den Beweggrund dar, der Naiman jetzt veranlasste, sich nochmals Alis zu bedienen. Sein Rezept änderte er dafür nur geringfügig ab: Wenn Ali die verdammte Christenhündin Yeza töten würde, dann würden die Mongolen - des wichtigsten Bestandteils ihres Königlichen Paares beraubt - abziehen, und der Weg für Ali als Herrscher von Damaskus wäre wieder frei! Der Kommandant wendete zwar ein, dass es genauso gut den unerwünschten Effekt zeitigen könnte, dass die Mongolen vor Wut oder aus Rache die Zitadelle samt allen Insassen dem Erdboden gleichmachten, bevor sie dann - vielleicht - abzögen. Doch alle ziehen ihn der Feigheit, die einem Kämpfer für den wahren Glauben schlecht anstünde. Also stellte er die Krieger bereit, die Ali und Naiman verlangten.
    Im Palast hatte sich William von Roebruk inzwischen den freien Zugang zur Prinzessin erkämpft. Der für sie verantwort-345
    liehe Hauptmann Dungai hielt ihn für harmlos, und Yeza sah in dem Franziskaner - der ihre Nähe suchte wie ein schwanzwedelnder, treuer Hund - die willkommene Möglichkeit, weniger sich auszusprechen, als vielmehr den Kontakt zur Außenwelt aufrecht zu halten, denn Dungais Maßnahmen zu ihrer Sicherheit schufen einen Kordon völliger Isolation um ihre Person. So kam es, dass Lorenz von Orta, der bei den Torwachen vorsprach und die Prinzessin verlangte, an William verwiesen wurde. Der herbeigeholte Mönch, immer noch mit einem schlechten Gewissen behaftet, erschrak zuerst, als er den Namen des hochrangigen Vertreters der geheimen Bruderschaft und Vertrauten der Grande Maitresse hörte. Ihm war bewusst, dass dieser Personenkreis bei allen Fragen, die Rog Trencavel und Yeza Esclarmunde betrafen, ein gewichtiges Wort - wenn nicht das entscheidende -
    mitzureden hatte. So verwunderte ihn auch nicht, dass der weißhaarige zierliche Alte ihn mit Strenge zwischen Tür und Angel beiseite nahm und ihm quasi auferlegte, dafür zu sorgen, dass die für den morgigen Tag angesetzte feierliche Inthronisation noch einmal verschoben würde, denn die Grande Maitresse sei sich sicher, den abgängigen Roc Trencavel binnen kurzem beibringen zu können. Williams Einwand, dafür reiche sein Ansehen bei den Mongolen bei weitem nicht aus, wischte Lorenz beiseite. Des Ordensbruders Aufgabe sei lediglich, Yeza vom Stand der Dinge zu informieren; die Prinzessin sei Manns genug, ihre Wünsche durchzusetzen! Damit ließ er William stehen und schritt über den abendlichen Platz von dannen, wo gerade der Teppich unter der Aufsicht des Baouab zusammengerollt wurde, um dem dezidierten Verlangen der Prinzessin nachzukommen.
    Das Licht der Abendsonne verweilte am längsten auf den Steinquadern der Zitadelle, das Kloster zu seinen Füßen war längst im Griff der einbrechenden Dunkelheit. Der einsame Heimkehrer hielt kurz inne, um dem Ruf des Muezzin von der nahen Großen Moschee Al-Omayyad zum salat al maghreb, dem Abendgebet, zu lauschen, bevor er an ihren Mauern vorbei dem Kloster der Zisterzienser zustrebte, wo er für die Nacht Quartier genommen hatte.
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    Lorenz von Orta achtete nicht der brennenden Augen, die ihn von den hoch aufragenden Zinnen der sich über ihm erhebenden Zitadelle beobachteten.
    Der listige Naiman, der auch diesmal die Planung übernommen hatte, entwickelte seinen Plan dem unbedarften Ali nur in groben Zügen. Doch, wenn ihm dessen Zerstreutheit als völlige Unfähigkeit, seine genialen Schachzüge zu erfassen, vorkam, hatte sich Naiman in einem entscheidenden Punkt getäuscht: Ali ging nur deshalb auf alles so willig ein, weil sich in seinem wirren Hirn bereits eine ganz anders geartete Überlegung eingenistet hatte. Wenn es ihm gelingen würde, die Prinzessin zu rauben statt zu töten, und sie einwilligen würde, seine Frau zu werden, dann hätte er sein Ziel der Herrschaft über Damaskus weit leichter und sicherer erreicht - und er hätte die Mongolen nicht zum Feind, im Gegenteil, sie würden ihn viel eher willkommen heißen als den von ihm in die

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