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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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ihm sein Essen brachte, mit seinem Holzteller und seinem Krug erscheinen würde, nichts Aufregenderes erwartend als den höflichen Empfang, an den er gewohnt war, von Seiten eines Gefangenen, der sich entschlossen mit Geduld gewappnet hatte und zu gerecht war, um einem jungen, nur weisungsgemäß handelnden Bruder seine mißliche Lage zum Vorwurf zu machen. Ein großer, stämmiger junger Mann mit arglosem Gesicht und freundlichem Wesen hatte diese Aufgabe übernommen. Elave wünschte ihm nichts Böses und würde ihm, wenn es sich vermeiden ließ, auch nichts antun, aber jeder, der zwischen ihm und dem Weg zu Fortunata stand, würde auf sich selbst achtgeben müssen.
    Die Einrichtung der Zelle war seinem Vorhaben günstig. Das Fenster und das Pult darunter waren so postiert, daß sie beim Öffnen der Tür für den Eintretenden nur teilweise sichtbar waren, bis die Tür wieder geschlossen war; und der Platz, an dem der Novize sein Tablett normalerweise absetzte, war das Fußende des Bettes. Im Laufe seiner ständigen Besuche hatte er seine Ängstlichkeit abgelegt – bisher hatte er keine Veranlassung gehabt, sich zu ängstigen – und sich angewöhnt, schnurstracks hereinzukommen, die Tür mit Ellenbogen und Schulter weit aufzustoßen, direkt aufs Bett zuzugehen und seine Last dort abzusetzen. Erst danach pflegte er die Tür zu schließen, sich mit seinem breiten Rücken dagegen zu lehnen, ihm einen guten Morgen oder Abend zu wünschen und zu warten, bis er aufgegessen hatte.
    Elave hörte auf, Bitten herauszuschreien, die niemand hören und auf die niemand reagieren würde, und ließ sich ingrimmig nieder, um auf die gewohnten Schritte zu warten. Sein Novize, dessen Namen er nicht kannte, hatte die Gangart eines Riesen und einen massigen Körperbau, und das Klatschen seiner Sandalen auf den Kopfsteinen hörte sich an wie schwere Schläge. Es war kein Irrtum möglich, obwohl das schmale Spitzbogenfenster, das er passieren mußte, bevor er um die Ecke bog und die Tür erreichte, ihm keinen Blick auf den drahtigen braunen Ring seiner Tonsur gestattete. Und an der Tür mußte er sein Tablett mit einer Hand balancieren, während er mit der anderen den Schlüssel drehte. Reichlich Zeit für Elave, hinter der Tür zu warten, als der junge Mann, arglos wie immer, hereinkam und direkt auf das Bett zusteuerte.
    Der Raum war so eng, daß Elave seitlich mit dem nichts Böses ahnenden Jungen zusammenprallte, so daß dieser an die gegenüberliegende Wand flog; der Gefangene war aus der Zelle heraus und rannte über den Hof auf das Torhaus zu, bevor irgend jemand begriffen hatte, was vorging. Er wurde von dem Novizen verfolgt, der längere Beine hatte und mit einem lauten Ruf den Pförtner alarmierte und bewirkte, daß andere Brüder, Stallburschen und Gäste wie ein Bienenschwarm aus dem Kreuzgang, den Stallungen und dem Gästehaus herbeieilten. Diejenigen, die am schnellsten und am begierigsten waren, an der Jagd teilzunehmen, kreisten den flüchtenden Elave ein. Die weniger Tatkräftigen kamen näher, um zuzuschauen. Und es hatte den Anschein, als wäre der erste Alarmruf bis in die Gemächer des Abtes gedrungen und hätte Radulfus und seinen Gast veranlaßt zu erscheinen, um den Aufruhr zu unterdrücken.
    Elaves Chancen waren von Anfang an sehr gering gewesen.
    Doch selbst als vier oder fünf empörte Brüder sich ihm in den Weg gestellt und ihn zwischen sich eingekesselt hatten, drängte er die ganze wankende Truppe fast bis zum Torbogen zurück, bevor die Brüder sich so fest an ihn klammerten, daß er nicht mehr von der Stelle kam. Trotz seiner heftigen Gegenwehr wurde er auf die Knie gezwungen und fiel, nach Atem ringend, mit dem Gesicht nach vorn auf das Pflaster.
    Über ihm sagte eine leidenschaftslose Stimme: »Ist das der Mann, von dem Ihr mir erzählt habt?«
    »Das ist er«, sagte der Abt.
    »Und bisher hat er keinerlei Ärger gemacht, niemanden bedroht, keinen Fluchtversuch unternommen?«
    »Keinen«, sagte der Abt, »und ich hatte auch keinen erwartet.«
    »Dann muß es einen Grund geben«, sagte die ruhige Stimme. »Sollten wir nicht zu erfahren suchen, was es ist?«
    Und zu den Häschern, die den keuchend daliegenden Elave noch immer festhielten: »Laßt ihn aufstehen.«
    Elave stützte die Hände auf die Kopfsteine und kam auf die Knie, schüttelte benommen seinen angeschlagenen Kopf und blickte in ein kraftvolles, kantiges, gebieterisches Gesicht mit einer schmalen Hakennase und grauen Augen, die unverwandt und

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