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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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sich auf den Weg nach Westen machen, wie es schon unzählige Männer vor ihm getan hatten! Nach Wales war es nicht weit, Flüchtlinge überschritten, wenn sie es für erforderlich hielten, die Grenze in beiden Richtungen. Aber es gehörte mehr dazu als die bloße Gelegenheit. Die Zeit verging, und es schien, als müßten sie auf ewig in dieser Sackgasse, einer Art selbstgeschaffenen Fegefeuers, ausharren.
    »… ich kam zu spät, sie waren schon alle drinnen, ich hörte das Singen. Und dann kam er durch die kleine Tür heraus, die zur Kammer des Priesters führt. Hätte er das nicht getan, dann wäre ich in die Kirche gegangen, und er wäre noch am Leben.
    Glaubst du mir das?«
    Wieder hatte er sich voll und ganz an sie erinnert, an die Nichte, die er immer gern gehabt hatte. Und diesmal wollte er eine Antwort hören, das Zittern seiner Stimme verlangte danach.
    »Ja«, sagte sie, »das glaube ich dir.«
    »Aber er kam. Und als ich sah, daß er auf die Stadt zuging, änderte ich meine Absicht. Es passiert in der Zeit, die man braucht, um Atem zu holen, und auf einmal ist alles anders. Ich schloß mich ihm an und ging neben ihm her. Es war niemand da, der uns hätte sehen können, alle waren in der Kirche. Und dann fiel mir das Messer ein – dieses Messer! Es war einfach … nichts Ungehöriges. Er hatte gerade gebeichtet und die Absolution erhalten, er war zufrieden, wie ich ihn nur selten erlebt habe. Und als wir den Pfad erreicht hatten, der zum Fluß hinunterführt, da stieß ich zu und trug ihn dann auf den Armen zu den Büschen hinunter, zu dem Boot unter der Brücke. Da war es noch fast hellichter Tag. Ich versteckte ihn dort, bis es dunkel geworden war. Danach war niemand mehr da, der mich hätte verraten können.«
    »Nur du selbst«, sagte sie, »und jetzt ich.«
    »Du wirst es nicht tun«, sagte Jevan. »Du kannst es nicht – ebensowenig wie ich dich umbringen kann …«
    Diesmal war das Schweigen länger und sogar noch qualvoller, und die stickige Luft im Schuppen stumpfte Fortunatas Sinne ab. Es war, als hätten sie sich für immer in eine enge Welt eingeschlossen, in die niemand eindringen konnte, um die Spannung zwischen ihnen zu brechen und ihnen zu erlauben, sich wieder frei zu bewegen, zu handeln, vorwärts oder rückwärts zu gehen. Jevan begann wieder durch den Raum zu wandern, wobei er alle paar Schritte herumfuhr und kehrtmachte, als litte er unter heftigen Schmerzen. Das tat er eine ganze Weile, bis er plötzlich stehenblieb, mit einem langen Seufzer die Hände senkte, die immer noch Messer und Schlüssel hielten, und fortfuhr, als wäre seit seinen letzten Worten nur eine Sekunde vergangen:
    »… und dennoch wird einer von uns letzten Endes nachgeben müssen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
    Er hatte kaum ausgesprochen, als eine Faust gegen die Tür hämmerte und laut und fröhlich Hugh Beringars Stimme ertönte: »Seit Ihr da drinnen, Master Jevan? Ich sah das Licht durch die Läden. Vor einer Weile habe ich Euren Verwandten eine gute Nachricht überbracht, aber Ihr wart nicht da, um sie zu hören. Macht die Tür auf und hört sie jetzt!«
    Einen Augenblick lang blieb Jevan fassungslos stehen. Sie spürte, wie er zu Eis erstarrte, aber diese Starre dauerte nicht länger als einen Lidschlag. Dann riß er sich aus ihr heraus und schaffte es irgendwie, in sachlichem Ton eine Antwort hervorzubringen.
    »Einen Moment noch! Ich bin hier gleich fertig.« Schnell und lautlos wie eine Katze war er an der Tür und schloß sie auf. Sie war aufgestanden, hatte sich aber nicht von ihrem Platz entfernt; sie wußte nicht, was er vorhatte; es war eine Art passive Verwunderung, die sie hinderte, selbst irgend etwas zu unternehmen. Er packte sie mit der linken Hand beim Arm, schob seinen Arm unter den ihren und hielt sie beim Handgelenk fest, zog sie an sich wie ein Liebhaber oder ein zärtlicher Vater. Es fiel kein Wort, es gab kein Drohen oder Flehen, keine Aufforderung zum Schweigen oder Stillhalten.
    Vielleicht war er sich, im Gegensatz zu ihr, dessen bereits sicher. Aber sie beobachtete, wie er das Messer, das er in der Rechten hielt, so drehte, daß die Klinge an seinem Unterarm lag und der Ärmel sie verdeckte. Er zog sie mit sich zur Tür, und sie ließ es ohne Widerstand geschehen. Mit der Hand, in der er das Messer hielt, stieß er sie weit auf und führte sie hinaus auf die grüne Wiese, in das Licht des milden, wolkenlosen Abends, das von drinnen ausgesehen hatte wie völlige

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