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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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gemacht oder vergessen werden. Und das weißt du so gut wie ich. Wir können nicht ewig hierbleiben, nicht imstande, einen Schritt vor oder zurück zu tun. Also sage mir, was tun wir jetzt?«
    Aber das war eine Frage, die keiner von beiden zu beantworten vermochte. Ihre Hände waren gebunden, sie hingen gemeinsam im luftleeren Raum, und keiner von ihnen konnte das Band lösen, das sie aneinander fesselte. Er würde sie töten, sie würde ihn anzeigen müssen, bevor einer von ihnen wieder frei sein konnte; keiner brachte es fertig, und keiner von ihnen würde es letzten Endes unterlassen können.
    Es gab keine Antwort. Er holte tief Luft und gab eine Art Stöhnen von sich.
    »Ist das dein Ernst? Du könntest mir verzeihen, daß ich dich bestohlen habe?«
    »Ohne weiteres! Ich kann ohne das auskommen, was du mir genommen hast. Aber das, was du Aldwin genommen hast, läßt sich nicht ersetzen, und niemand außer Aldwin hat das Recht, dir zu verzeihen.«
    »Woher hast du gewußt«, fragte er mit plötzlicher Heftigkeit, »daß ich Aldwin umgebracht habe?«
    »Wenn du es nicht getan hättest, dann hättest du es hier und jetzt bestritten, ungeachtet dessen, was ich zu wissen glaube.
    Oh, warum, warum? Wenn das nicht wäre, könnte ich den Mund halten. Für dich hätte ich es getan. Aber was hat Aldwin getan, daß er auf diese Weise sterben mußte?«
    »Er öffnete die Schatulle«, sagte Jevan hart, »und schaute hinein. Niemand sonst wußte es. Wenn sie vor aller Augen geöffnet wurde, hätte er es herausgeplappert! Nun weißt du es!
    Ein neugieriger Idiot, der mir in die Quere kam und mich hätte verraten können! Und dann hätte ich es verloren … für immer verloren … Es war die Schatulle, die Schatulle, die mich auf den Gedanken brachte. Er war mir zuvorgekommen und hatte gesehen, was ich nach ihm sah – und unbedingt besitzen mußte!«
    Lange, stumme Pausen hatten den leisen, wütenden Faden seiner Rede unterbrochen, als hätte er minutenlang vergessen, wo er sich befand und zu wem er sprach. Draußen wurde das Licht allmählich schwächer. Drinnen begann die Lampe zu blaken. Fortunata war, als wären sie schon sehr lange in diesem Raum zusammen.
    »Ich hatte nur Zeit, bis Girard nach Hause kam. Ich nahm es noch am gleichen Abend und legte das, was ich hatte, an seine Stelle. Ich wollte dich nicht um alles betrügen. Ich zahlte mit allem, was ich besaß … Aber da war Aldwin. Wann hätte er je etwas, das er wußte, für sich behalten können? Und mein Bruder war auf dem Weg nach Hause …«
    Ein weiteres gequältes Schweigen, während er seinen Platz an der Tür verließ und ruhelos den Raum in seiner ganzen Länge durchwanderte, vorbei an der Stelle, an der sie fast vergessen saß, stumm und reglos.
    »Als er damals hinter Elave herrannte, hatte ich mich fast damit abgefunden. Mein Wort gegen seines! Ein Risiko – aber ich war fast bereit, es auf mich zu nehmen. Selbst jetzt – ist dir das klar? – steht nur mein Wort gegen deines, wenn du dich dafür entscheidest!« Er sagte es ohne besonderen Nachdruck, fast gleichgültig. Aber er hatte sich wieder an sie erinnert, auch sie war eine Gefahr für ihn. Er fuhr mit der Hand, die nicht den Schlüssel hielt, über das Gestell mit seinen Messern, eine Art geistesabwesender Liebkosung für das Gewerbe, das er betrieben und in dem er Hervorragendes geleistet hatte.
    »Letzten Endes war es purer Zufall. Kannst du das glauben?
    Ein Zufall, daß ich das Messer bei mir hatte … Es war keine Lüge, ich war wirklich den Nachmittag über hiergewesen und hatte gearbeitet. Ich hatte ein Messer benutzt – dieses Messer
    …«
    Zeit und Schweigen breiteten sich aus, als er es von dem Gestell nahm, es langsam aus seiner Lederscheide zog und mit den Fingern an der dünnen, scharfen Klinge entlangfuhr.
    »Ich hatte es in meinen Gürtel gesteckt und vergessen, es abzulegen, bevor ich abschloß, um nach Hause zu gehen. Und ich dachte daran, durch die Stadt zu gehen und in Holy Cross an der Vesper teilzunehmen – schließlich war es der Tag der heiligen Winifred …«
    Er drehte sich zu ihr um und musterte sie düster und eindringlich; sie saß still auf der Truhe neben der Lampe und hielt ihre ernsten Augen unverwandt auf ihn gerichtet. Nur einmal sah er sie einen kurzen Blick auf das Messer in seiner Hand werfen. Er drehte die Klinge nachdenklich so, daß sie das Licht einfing. Wie leicht konnte er sie jetzt umbringen, den Preis nehmen, um dessentwillen er gemordet hatte, und

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