Der Ketzerlehrling
Mensch am Tage des Jüngsten Gerichts zu verantworten hat. Sie sind es, die über seine Erlösung oder Verdammnis entscheiden. Übrigens ist mir nur selten jemand begegnet, der so schlecht war, daß ich an die ewige Verdammnis denken mußte«, sagte Elave, noch immer in seine eigenen Überlegungen versunken und nur darauf bedacht, sich verständlich auszudrücken, ohne Feindseligkeit oder Gefahr zu argwöhnen. »Ich habe einmal gehört, wie von einem Kirchenvater in Alexandria gesprochen wurde, der behauptete, am Ende würde jeder Mensch errettet. Selbst die gestürzten Engel würden an ihren Platz zurückkehren, und sogar der Teufel würde bereuen und sich wieder Gott zuwenden.«
Er spürte den Schauder und die Erregung, die seine Zuhörer ergriffen, glaubte aber nur, daß seine unterwegs erworbene Weisheit, so gering sie auch war, ihn über die Reichweite ihrer pfarrkindlichen Unschuld hinausgetragen hätte. Selbst Fortunata, die dem Gespräch der Männer stumm zuhörte, hatte die Augen weit aufgerissen, überrascht und vielleicht entsetzt.
Sie sagte nichts in dieser Gesellschaft, folgte aber jedem Wort, das gesprochen wurde, und ihr Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen.
»Das ist Blasphemie!« sagte Aldwin ehrfürchtig flüsternd.
»Die Kirche sagt uns, daß es nur durch Gnade Erlösung gibt, nicht durch Taten. Ein Mann kann nichts tun, um sein Seelenheil zu retten, weil er sündig geboren ist.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Elave hartnäckig. »Warum sollte der gütige Gott ein Geschöpf so unvollkommen geschaffen haben, daß es sich nicht aus freiem Willen für Gut oder Böse entscheiden kann? Wir können uns unseren eigenen Weg bahnen, hinauf zur Erlösung oder hinunter in die Hölle, und am Tag des Jüngsten Gerichts muß jeder Rechenschaft ablegen. Wenn wir Männer sind, müssen wir uns unseren eigenen Weg zur Gnade suchen und dürfen nicht einfach auf dem Hintern sitzenbleiben und warten, bis sie uns geschenkt wird.«
»Nein, nein, uns hat man etwas anderes beigebracht.«
Conan ließ nicht locker. »Die Menschen sind zusammen mit Adam gefallen und in Sünde verstrickt. Sie können nichts Gutes tun außer durch die Gnade Gottes.«
»Und ich sage, sie können es, und sie tun es auch. Ein Mensch kann sich dafür entscheiden, keine Sünde zu begehen und recht zu handeln, aus seinem eigenen Willen. Und dieser Wille ist eine Gabe Gottes und dazu da, gebraucht zu werden.
Weshalb sollte einem Menschen zugute gehalten werden, daß er alles Gott überläßt?« sagte Elave, erregt, aber noch immer vernünftig. »Wir denken über das nach, was wir täglich mit unseren Händen tun, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Was für Narren wären wir, wenn wir keinen Gedanken an das wenden würden, was wir mit unseren Seelen tun, um uns das ewige Leben zu verdienen. Verdienen«, sagte Elave nachdrücklich, »aber nicht darauf warten, daß es uns unverdient gewährt wird.«
»Das ist gegen die Lehren der Kirchenväter«, widersprach Aldwin nicht minder nachdrücklich. »Unser Priester hier hat einmal eine Predigt über den heiligen Augustinus gehalten, und der hat geschrieben, daß die Zahl der Auserwählten von Anbeginn feststeht und unveränderlich ist; alle übrigen sind verloren und verdammt. Wie also können ihr freier Wille und ihre Taten ihnen helfen? Nur Gottes Gnade vermag zu erlösen, alles andere ist eitel und sündig.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Elave laut und entschlossen.
»Weshalb sollten wir uns dann überhaupt bemühen, gute Menschen zu sein? Gerade die Priester sind es, die uns ermahnen, Recht zu tun, und sie verlangen von uns Beichte und Buße, wenn wir gefehlt haben. Wozu, wenn die Liste bereits voll ist? Welchen Sinn sollte das haben? Nein, das glaube ich nicht!«
Aldwin musterte ihn mit betroffener Ernsthaftigkeit. »Du glaubst dem heiligen Augustinus nicht?«
»Wenn er das geschrieben hat, nein, dann glaube ich ihm nicht.«
Es folgte eine lastende Stille, als hätte diese unverblümte Aussage den beiden Befragern die Stimme verschlagen. Aldwin warf ihm mit zusammengekniffenen Augen einen Seitenblick zu und rückte verstohlen auf der Bank von ihm weg, wie um zu vermeiden, daß sein Ärmel in kompromittierenden Kontakt mit einem so gefährlichen Nachbarn geriet.
»Nun«, sagte Conan schließlich, zu fröhlich und zu laut, und richtete sich auf, als hätte ihm die Zeit einen Rippenstoß versetzt. »Ich glaube, wir sollten schlafen gehen, sonst kommen wir morgen nicht
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