Der Ketzerlehrling
war. Das genügte ihnen. Von Cynrics Empfehlung beruhigt, begegneten sie dem neuen Priester offen und zuversichtlich.
Boniface war jung, kaum über Dreißig, bescheiden und ohne eine Spur von Anmaßung, kein Gelehrter wie sein Vorgänger, aber ein Mann, der mit ehrlicher Fröhlichkeit seines Amtes waltete. Die Ehrerbietung, die er seinen klösterlichen Nachbarn erwies, veranlaßte sogar Prior Robert, ihn gutzuheißen, wenn auch mit einiger Herablassung angesichts seiner bescheidenen Geburt und seines kümmerlichen Lateins. Abt Radulfus, der sich seines katastrophalen Fehlers bei der vorherigen Besetzung des Amtes bewußt war, hatte sich diesmal Zeit gelassen und die Kandidaten sorgfältig geprüft. Brauchte die Vorstadt wirklich einen gelehrten Theologen? Handwerker, kleine Kaufleute, Kleinbauern und schwer fronende Leibeigene von den umliegenden Dörfern und Gütern – ihnen war besser gedient mit einem Mann ihres eigenen Schlages, der ihre Sorgen und Nöte kannte, sich nicht zu ihnen herabließ, sondern mühsam, Ellenbogen an Ellenbogen, mit ihnen emporkletterte.
Es hatte den Anschein, als verfügte Vater Boniface über die für diese Klettertour erforderliche Energie und Ausdauer, über genügend Kraft, um andere mit sich emporzuziehen, und über die verbissene Loyalität, sie nicht zurückzulassen, wenn sie ermüdeten. Ob in Latein oder in der Landessprache – das war der Ton, den die Leute verstehen würden.
Dies war einer der Tage, an denen die Weltgeistlichen und die Klosterbrüder zusammenkamen, um der Heiligen Ehre zu erweisen; das Kapitel wurde auf die Zeit nach dem Hochamt verschoben, wo die Kirche allen Pilgern offenstand, die ihre privaten Bitten an den Altar herantragen, ihr silbernes Reliquiar berühren und Gebete und Geschenke darbieten würden in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen der Heiligen zu erregen für ihre Gebrechen, Beschwerden und Ängste. Den ganzen Tag über würden sie kommen und gehen, niederknien und sich wieder erheben im hellen Schein der duftenden Kerzen, die Bruder Rhun ihr zu Ehren herstellte. Seit sie Rhun, damals selbst ein Pilger, aus seiner Lahmheit herausgehoben hatte in die körperliche Vollkommenheit, die er jetzt besaß, war Rhun ihr Page und Knappe, und seine Schönheit widerspiegelte die ihre und legte Zeugnis für sie ab. Denn schließlich wußte jedermann, daß Winifred, wie ihre Legende besagte, zu ihrer Zeit die schönste Jungfrau der Welt gewesen war.
In der Tat hatte Bruder Cadfael den Eindruck, daß alles in vollkommener Harmonie zusammenwirkte, um diesen Tag zu dem zu machen, was er sein sollte: einem Tag höchster Zufriedenheit ohne jeden Makel. Er begab sich zu seinem Sitz im Kapitelsaal, zufrieden mit der Welt, und bereitete sich darauf vor, die Angelegenheiten des Tages, selbst die uninteressantesten Einzelheiten, mit lobenswerter Aufmerksamkeit über sich ergehen zu lassen. Manche seiner Mitbrüder waren imstande, sich so weitschweifig über ihr jeweiliges Thema auszulassen, daß ein müder Mann einschlief, aber heute war er entschlossen, selbst den langweiligsten von ihnen mit tugendhafter Duldsamkeit zu begegnen.
Selbst dem Chorherrn Gerbert, beschloß er, während er beobachtete, wie der hohe Herr in den Kapitelsaal kam und seinen Platz neben dem Abt einnahm, würde er nur die allerheiligsten Motive unterstellen, was der Gast auch an der Disziplin des Klosters auszusetzen haben würde und wie herablassend sein Verhalten gegenüber Abt Radulfus auch sein mochte. Heute durfte nichts die sommerliche Ruhe stören.
In diese aussichtsreiche Stimmung brach plötzlich ein unerfreulicher Windstoß ein, als Prior Robert hereinrauschte, mit wogendem Habit, hocherhobener aristokratischer Nase und geweiteten Nüstern, als hätte jemand ihm übelriechenden Schmutz daruntergehalten. Eine derart unziemliche Hast bei jemandem, der sonst so auf seine Würde bedacht war, ließ die Reihen der Brüder unbehaglich erschauern, zumal sie sahen, daß im Schatten des Priors auch Bruder Jerome hereintrippelte.
Sein schmales, blasses Gesicht verkündete, halb entsetzt, halb erfreut, eine große Aufregung.
»Vater Abt«, erklärte Robert, seiner Entrüstung laut und deutlich Ausdruck gebend, »ich habe eine überaus schwerwiegende Angelegenheit vorzubringen. Bruder Jerome hat mir davon Kenntnis gegeben, und ich fühle mich verpflichtet, Euch darüber zu informieren. Draußen wartet ein Mann, der eine schwerwiegende Anklage erhoben hat gegen Elave, den
Weitere Kostenlose Bücher