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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Raum zu zeigen. Er hatte schon die halbe Strecke bis zum Fuß der Treppe zurückgelegt, als er innehielt, einen Moment zögernd stehenblieb, in die beruhigende Stille hineinlauschte und dann kehrtmachte und direkt auf den Eckschrank zusteuerte.
    Der Schlüssel steckte immer im Schloß, war aber selten umgedreht. Was es im Haus an Wertgegenständen gab, befand sich in der Truhe in Girards Schlafzimmer. Aldwin öffnete behutsam die hohe Tür, stellte seine Kerze vorsichtig auf einem Bord in Brusthöhe ab und griff zu dem hohen Bord hinauf, auf dem Margaret Fortunatas Schatulle abgestellt hatte. Selbst als sie schon neben seiner Kerze stand, schwankte er noch. Was war, wenn der Schlüssel quietschte, anstatt sich lautlos drehen zu lassen, oder wenn er sich überhaupt nicht bewegte? Er hätte nicht sagen können, was ihn zu diesem Tun veranlaßte.
    Neugierig war er schon immer gewesen; es war, als müßte er unbedingt über alles Bescheid wissen, was in diesem Haushalt vor sich ging, für den Fall, daß irgendeine übersehene Kleinigkeit eines Tages gegen ihn verwendet werden würde. Er drehte den kleinen Schlüssel, und er bewegte sich leicht und lautlos, gut gearbeitet wie das Schloß, das er bediente, und die Schatulle, die er schmückte und schützte. Mit der linken Hand öffnete er den Deckel, mit der rechten hob er die Kerze, um ihr Licht hineinfallen zu lassen.
    »Was machst du da?« ertönte Jevans Stimme scharf und gereizt vom oberen Ende der Treppe.
    Aldwin fuhr zusammen, und Tropfen von heißem Wachs spritzten auf seine Hand. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er den Deckel wieder geschlossen und den Schlüssel im Schloß gedreht, dann stellte er die Schatulle in panischer Hast wieder auf das obere Bord. Die offene Schranktür verdeckte, was er da tat. Von dort aus, wo Jevan die Treppenstufen heruntereilte, ein bewegter Schatten zwischen anderen Schatten, würde er das Licht sehen, nicht aber seine Quelle; er konnte einen Teil des offenen Schrankes erkennen und Aldwins Körper als scharf umrissene Silhouette, aber nicht, womit seine Hände beschäftigt waren, abgesehen vielleicht davon, daß er sich aufrichten mußte, um den angetasteten Schatz wieder zurückzustellen. Die Kerze in der einen Hand, drehte Aldwin sich um; in der anderen hielt er das kleine Messer, das er gerade aus seinem Gürtel gezogen hatte.
    »Ich habe gestern mein Messer hier vergessen, als ich einen neuen Pflock für den Griff des kleinen Eimers schnitzte. Ich brauche es morgen früh.«
    Jevan war inzwischen vollends die Treppe heruntergestiegen, kam mit resignierender Verärgerung auf ihn zu und schob ihn beiseite, um die Schranktür zu schließen.
    »Dann nimm es und geh zu Bett. Und hör auf, den Haushalt um diese Zeit zu stören.«
    Aldwin verschwand mit einer für ihn ungewöhnlichen Schnelle und Fügsamkeit, nur zu froh, daß er so gut aus etwas herausgekommen war, was eine sehr peinliche Begegnung hätte werden können. Er sah sich nicht einmal um, sondern trug seinen tropfenden Kerzenstummel mit zitternder Hand die Treppe hinauf auf den Dachboden. Aber hinter sich hörte er das leise, knirschende Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloß drehte, und wußte, daß Jevan den Schrank abgeschlossen hatte. Die heimlichen Streifzüge seines Schreibers mochten geduldet und als zwar ärgerlich, aber harmlos abgetan werden, aber ermutigen würde man ihn dazu nicht. Aldwin würde gut daran tun, im Umgang mit Jevan eine Weile Vorsicht walten zu lassen, bis der Zwischenfall vergessen war.
    Das Ärgerlichste war, daß alles umsonst gewesen war. Er war nicht mehr dazu gekommen, festzustellen, was die Schatulle enthielt. Fast im gleichen Augenblick, in dem er den Deckel öffnete, hatte er ihn auch schon wieder schließen müssen; er hatte keine Zeit gehabt, einen Blick hineinzuwerfen.
    Und er würde es nicht noch einmal versuchen. Der Inhalt von Fortunatas Schatulle würde ein Geheimnis bleiben, bis Girard nach Hause gekommen war.
    Am einundzwanzigsten Tag des Juni, nach der Morgenmesse, wurde William von Lythwood in einer bescheidenen Ecke des Friedhofes östlich der Abteikirche beigesetzt, wo die Stifter und Gönner des Hauses ihre letzte Ruhestätte fanden. Also hatte er bekommen, was er gewollt hatte, und ruhte in Frieden.
    Bei den Trauergästen entdeckte Bruder Cadfael gewisse Anzeichen von Unzufriedenheit. Er kannte den Schreiber Aldwin, wie er früher Elave gekannt hatte, als gelegentlichen Boten seines Herrn, und er hatte, um der

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