Der Ketzerlehrling
gestellt habt, die Euch angemessen erscheinen, ihr selbst drei Fragen stellen, die den Kern dieser Angelegenheit betreffen. Aber zuerst fahrt bitte fort.«
»Ich habe keine Fragen«, sagte Radulfus. »Die junge Frau hat uns unter Eid ihren Bericht gegeben, und ich halte dafür, daß sie die Wahrheit gesprochen hat. Fragt, was Ihr fragen wollt.«
»Erstens«, sagte Gerbert, wobei er sich auf seinem Stuhl vorlehnte, mit über seinen durchdringenden Augen zusammengezogenen dichten Brauen, »habt Ihr gehört, daß der Angeklagte sagte, als er rundheraus gefragt wurde, ob er mit seinem Herrn übereinstimme, der nicht glaubte, daß ungetaufte Kinder zur Hölle verdammt wären, ja, darin stimme er mit ihm überein?«
Sie wendete für einen Augenblick den Kopf ab und preßte zur Erinnerung ihre rechte Hand zusammen, und dann sagte sie mit sehr leiser Stimme: »Ja, das habe ich gehört.«
»Damit leugnet er das Sakrament der Taufe. Zweitens, habt Ihr gehört, wie er bestritten hat, daß alle Menschenkinder mit der Sünde Adams beladen sind? Habt Ihr gehört, wie er sagte, daß nur die eigenen Taten eines Menschen ihn erlösen oder verdammen?«
Mit plötzlich aufflammendem Mut sagte sie, lauter als zuvor:
»Ja, aber er hat nicht die Gnade geleugnet; die Gnade liegt in der Gabe der Freiheit des Willens …«
Gerbert unterbrach sie mit erhobener Hand und funkelnden Augen. »Er hat es gesagt. Das genügt. Es ist die Behauptung, die Gnade Gottes wäre unnötig, die Erlösung läge in der Hand des Menschen. Drittens, habt Ihr gehört, wie er sagte und wiederholte, er glaube nicht, was der heilige Augustinus über die Erwählten und die Verworfenen geschrieben hat?«
»Ja«, sagte sie, diesmal langsam und bedächtig: » Wenn der Heilige das geschrieben hat, sagte er, dann glaube ich ihm nicht. Niemand hat mir je davon erzählt, und ich kann nicht lesen und schreiben, abgesehen von meinem Namen und einigen wenigen Worten. Hat der heilige Augustinus tatsächlich gesagt, was er dem Priester zufolge gesagt haben soll?«
»Das reicht!« fuhr Gerbert sie an. »Dieses Mädchen bestätigt alles, was gegen den Angeklagten vorgebracht wurde. Das weitere Vorgehen liegt bei Euch.«
»Meine Entscheidung lautet«, sagte Radulfus, »daß wir die Sitzung beenden, und daß jeder für sich nachdenken sollte. Die Zeugen sind entlassen. Geht heim, Tochter, und seid versichert, daß Ihr die Wahrheit gesprochen habt. Über alles Weitere braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen, denn die Wahrheit kann nicht anders sein als gut. Geht, ihr alle, aber haltet euch bereit für den Fall, daß ihr noch einmal gebraucht und gerufen werdet. Und Ihr, Elave …« Er musterte das ihm zugewandte Gesicht des jungen Mannes, blaß, entschlossen und zornig, mit zusammengepreßten Lippen und weit geöffneten, funkelnden Augen. »Ihr seid Gast in unserem Hause. Ich sehe keinen Grund, weshalb wir uns nicht auf Euer Wort verlassen sollten.« Ihm war bewußt, daß Gerbert seine Entscheidung mißbilligte, aber er fuhr mit erhobener Stimme fort und erstickte den Protest im Keime. »Wenn Ihr versprecht, Euch nicht von hier zu entfernen, bis diese Angelegenheit erledigt ist, dann steht es Euch in der Zwischenzeit frei, nach Belieben zu kommen und zu gehen.«
Einen Augenblick lang war Elave nicht ganz bei der Sache.
Fortunata hatte sich an der Tür umgedreht, um noch einen Blick zurückzuwerfen, dann war sie fort. Conan und Aldwin waren, sobald sie entlassen worden waren, eiligst aufgebrochen und schon vor ihr verschwunden. Sie glaubten ihren Fall in den Händen des Prälaten, der eine scharfe Nase für unorthodoxe Ansichten hatte, sicher aufgehoben. Elave wendete seinen respektvollen Blick wieder dem Abt zu und sagte entschlossen:
»Herr, ich gedenke meine Unterkunft hier in Eurem Hause nicht zu verlassen, bevor ich das nicht frei und gerechtfertigt tun kann. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«
»Dann geht, bis ich Euch wieder rufen lasse. Und nun«, sagte Radulfus, während er sich erhob, »ist diese Versammlung aufgehoben. Geht Eurer Arbeit nach, jeder einzelne von euch, und bedenkt, daß dies noch immer der dem Andenken der heiligen Winifred gewidmete Tag ist, und daß auch die Heiligen Zeugnis ablegen über alles, was wir tun, und dementsprechend aussagen.«
»Ich kann Euch sehr gut verstehen«, sagte Chorherr Gerbert, als er allein mit Radulfus im Sprechzimmer des Abtes saß. Er wirkte entspannt und sogar etwas erschöpft, hatte all seinen gestrengen Eifer
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