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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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unbeugsamer Entschlossenheit, »dadurch, indem man das erkrankte Glied abhaut.«

6. Kapitel
    Elave passierte unbehindert das Tor und schlug den Weg zur Stadt ein. Offensichtlich wußte der Pförtner noch nichts von dem Alarm, den er, ein gewöhnlicher Sterblicher, unter den Gästen der Abtei ausgelöst hatte; vielleicht war er auch vom Abt informiert worden, daß der Angeklagte sein Ehrenwort gegeben hatte und es ihm freistand, nach Belieben zu kommen und zu gehen – sofern er nicht seine Habseligkeiten holte, um sich aus dem Staub zu machen. Jedenfalls versuchte niemand, ihm den Weg zu versperren. Der Bruder an der Pforte wünschte ihm, als er hindurchging, sogar fröhlich einen guten Tag.
    Draußen in der Vorstadt blieb er einen Moment stehen, um die Straße in beiden Richtungen abzusuchen, aber die Zeugen der Anklage waren bereits außer Sicht. Dann machte er sich eilig auf den Weg zur Brücke und in die Stadt. Er war sicher, daß Fortunata in ihrer Bekümmernis direkt nach Hause gehen würde. Sie hatte den Kapitelsaal verlassen, bevor er sein Wort gegeben hatte, die Abtei nicht zu verlassen, bevor er gerechtfertigt war; vielleicht glaubte sie, daß er bereits ein Gefangener war, und vielleicht gab sie sich sogar selbst die Schuld an seiner mißlichen Lage. Er hatte gesehen, wie widerstrebend sie gegen ihn ausgesagt hatte, und der Gedanke, daß sie bekümmert war, quälte ihn in diesem Augenblick mehr als die Sorge, daß seine eigene Freiheit und sein Leben in Gefahr sein könnten. An diese Gefahr zu glauben fiel ihm schwer, deshalb war sie leicht zu ertragen. Aber an ihrer Erschütterung konnte es keinerlei Zweifel geben, und sie schmerzte ihn zutiefst. Er mußte mit ihr sprechen, ihr versichern, daß sie ihm keinerlei Unrecht zugefügt hatte, daß dieser Aufruhr vorübergehen würde, daß der Abt ein vernünftiger Mann war, und daß der andere, der Blut sehen wollte, bald wieder abreisen und das Urteil verständnisvolleren Richtern überlassen würde. Und was noch wichtiger war – ihm war bewußt, wie tapfer sie sich bemüht hatte, ihn zu verteidigen. Er war ihr dafür dankbar, hoffte insgeheim vielleicht sogar, darin eine tiefere Bedeutung zu finden als nur Mitgefühl und etwas Persönlicheres als nur den Wunsch, daß ihm Gerechtigkeit widerfahren möge. Aber er mußte seine Zunge hüten und durfte nicht zuviel sagen, solange auch nur der Schatten einer Verurteilung über ihm hing.
    Er erreichte das Ende der Klostermauer; das Gelände zu seiner Linken öffnete sich zum silbrigen Oval des Mühlenteiches, und auf der rechten Straßenseite wichen die Häuser der Vorstadt einem Wäldchen, das sich bis fast an die Brücke über den Severn hinzog. Und da sah er sie vor sich, unverwechselbar; sie eilte die staubige Straße mit einem Ungestüm entlang, das eher auf wütende Entschlossenheit hindeutete als auf Verwirrung und Bestürzung. Er begann zu rennen und holte sie im Schatten der Bäume ein. Beim Geräusch seiner Schritte war sie herumgefahren, und als er sie erreicht hatte, ergriff sie, ohne daß außer seinem atemlosen »Mistress …!« ein Wort gesprochen worden war, seine Hand und zog ihn so weit in das Wäldchen hinein, daß sie von der Straße aus nicht mehr zu sehen waren.
    »Was ist? Bist du frei? Ist alles vorüber?« Sie blickte zu ihm auf mit leuchtendem Gesicht, in dem sich unverkennbare Freude spiegelte, aber auch eine gewisse Angst davor, ebenso plötzlich enttäuscht zu werden, wie sie beglückt worden war.
    »Nein, noch nicht. Nein, es wird noch weitere Verhandlungen geben, bevor ich das alles hinter mir habe. Aber ich mußte mit dir reden, dir danken für das, was du für mich getan hast …«
    »Mir danken«, sagte sie mit leiser, ungläubiger Stimme.
    »Dafür, daß ich die Grube vor deinen Füßen noch ein wenig tiefer gegraben habe? Ich brenne vor Scham, daß ich nicht einmal den Mut zum Lügen aufgebracht habe!«
    »Nein, nein, so darfst du nicht denken! Du hast mir nicht im mindesten Unrecht getan; du hast alles versucht, um mir zu helfen. Weshalb hättest du lügen sollen? Du hättest es ohnehin nicht gekonnt, es wäre wider deine Natur gewesen. Und ich werde auch nicht lügen«, erklärte Elave entschlossen, »oder etwas von dem zurücknehmen, was ich glaube. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß du dir meinetwegen keine Sorgen machen und nicht einmal eine Sekunde lang glauben sollst, daß ich dir gegenüber etwas anderes empfinde als Dankbarkeit und Ehrerbietung. Du hast mir auf die

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