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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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auffiel. Dem Abt, dachte er, während er das beherrschte, asketische Gesicht musterte, war es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit klar; doch selbst wenn die beiden Männer sich zusammengetan hatten, um ihre eigenen Absichten zu verfolgen, blieb doch die Tatsache bestehen, daß diese Dinge gesagt worden waren, und Elave leugnete es nicht, auch wenn er hier und da korrigierte oder verdeutlichte. Wie hatten sie ihn dazu veranlaßt, so offen zu reden? Und was noch wichtiger war – wie hatten sie dafür gesorgt, daß auch das Mädchen zugegen war? Denn es wurde immer deutlicher, daß von ihrer Aussage alles abhing. Je stärker Abt Radulfus Aldwin und Conan der Gehässigkeit gegenüber Elave verdächtigte, desto wichtiger wurde, was Fortunata dazu zu sagen hatte.
    Sie war allem, was bisher geschehen war, aufmerksam gefolgt. Verspätetes Begreifen hatte ihr ovales Gesicht erblassen lassen und ihre Augen in funkelnder Besorgnis geweitet; ihr Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen, als Fragen gestellt und Antworten gegeben wurden und die Spannung im Kapitelsaal wuchs. Als der Abt sich ihr zuwendete, erstarrte sie und preßte nervös die Lippen zusammen.
    »Und Ihr, Kind? Ihr wart gleichfalls zugegen und habt gehört, was gesprochen wurde?«
    Sie sagte vorsichtig: »Ich war nicht die ganze Zeit dabei. Ich habe meiner Mutter in der Küche geholfen, als die drei Männer beieinandersaßen.«
    »Aber Ihr habt Euch später zu ihnen gesellt«, sagte Gerbert.
    »Zu welchem Zeitpunkt? Habt Ihr gehört, daß er sagte, die Kindstaufe wäre unnötig und nutzlos?«
    Auf diese Frage erwiderte sie mutig: »Nein, Herr, denn das hat er nie gesagt.«
    »Oh, wenn Ihr Euch an den Wortlaut klammern wollt … Also gut, habt Ihr gehört, wie er sagte, er glaube nicht, daß ungetaufte Kinder zur Hölle verdammt sind? Denn das läuft auf dasselbe hinaus.«
    »Nein«, sagte Fortunata. »Er hat überhaupt nicht gesagt, was er in dieser Beziehung selbst glaubt. Er sprach von seinem Herrn, der jetzt tot ist. Er sagte, William habe gesagt, daß nicht einmal die schlechtesten Männer es fertigbringen, ein Kind ins Feuer zu werfen, wie könnte dann Gott es tun? Und als er das sagte«, erklärte Fortunata entschlossen, »teilte er uns mit, was William gesagt hatte, nicht, was er selbst glaubte.«
    »Das stimmt, aber es ist nur die halbe Wahrheit«, rief Aldwin, »denn gleich darauf habe ich ihn unumwunden gefragt: Bist du der gleichen Meinung? Und er erwiderte: Ja, das sage ich auch.«
    »Ist das wahr, Mädchen?« wollte Gerbert wissen; er warf Fortunata einen finsteren Blick zu. Und als sie seinen Blick mit blitzenden Augen, aber fest verschlossenen Lippen erwiderte:
    »Ich glaube, daß diese Zeugin nicht den Wunsch hat, uns zu helfen. Wie es scheint, hätten wir gut daran getan, alle Aussagen unter Eid machen zu lassen. Wir wollen zumindest im Falle dieser Frau sichergehen.« Er ließ seinen drohenden Blick lange auf dem hartnäckig schweigenden Mädchen ruhen.
    »Frau, wißt Ihr, in welchen Verdacht Ihr Euch selbst bringt, wenn Ihr nicht die Wahrheit sprecht? Prior Robert, bringt ihr eine Bibel. Laßt sie auf das Evangelium schwören und ihr Seelenheil gefährden, wenn sie lügt.«
    Fortunata legte ihre Hand auf das Buch, das Prior Robert feierlich vor ihr aufschlug, und sprach den Eid mit so leiser Stimme, daß er fast unhörbar war. Elave hatte den Mund geöffnet und in hilflosem Zorn über den gegen sie erhobenen Verdacht einen Schritt auf sie zugetan, hielt aber ebenso rasch wieder inne und stand stumm da, mit zusammengebissenen Zähnen und einem bitteren Geschmack im Mund.
    »Und nun«, sagte der Abt mit einer so ruhigen, aber unerschütterlichen Autorität, daß selbst Gerbert keinen weiteren Versuch unternahm, die Verhandlung an sich zu reißen, »wollen wir alle Fragen zurückstellen, bis Ihr uns selbst ohne Hast und Angst alles erzählt habt, was Euch von dem Gespräch in Erinnerung geblieben ist. Sprecht offen, und ich bin überzeugt, wir werden die Wahrheit hören.«
    Sie faßte Mut, holte tief Luft und berichtete sorgfältig, soweit sie sich erinnerte. Ein-oder zweimal zögerte sie, ernstlich versucht, etwas auszulassen oder zu erläutern, und Cadfael bemerkte, wie ihre linke Hand die rechte, die auf dem aufgeschlagenen Evangelium gelegen hatte, umklammerte.
    Doch dann faßte sie sich und sprach weiter.
    »Mit Eurer Erlaubnis, Vater Abt«, sagte Gerbert ingrimmig, als sie geendet hatte, »möchte ich, wenn Ihr der Zeugin die Fragen

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