Der Ketzerlehrling
Verurteilung.«
»Herr«, fuhr Aldwin eifrig fort, »er hat außerdem gesagt, er hielte die Taufe nicht für unerläßlich, weil er nicht glaubte, daß Kinder schon von der Sünde beladen zur Welt kommen. Wie könnte das sein, sagte er, bei so einem kleinen Ding, das kaum auf diese Welt gekommen und noch nicht imstande ist, selbst etwas zu tun, ob gut oder böse. Ist das nicht in der Tat eine eitle Verhöhnung der Taufe? Und wir haben gesagt, wir glaubten, wie man uns gelehrt habe, daß selbst die noch Ungeborenen durch die Sünde Adams verderbt und mit ihm gestürzt sind. Aber, hat er gesagt, wofür sich ein Mensch am Tage des Jüngsten Gerichts zu verantworten hätte, wären nur seine eigenen Taten, gute wie böse; und seine eigenen Taten wären es, die über Verdammnis oder Erlösung entscheiden.«
»Wer die Erbsünde bestreitet, setzt jedes Sakrament herab«, wiederholte Gerbert eindringlich.
»Nein, so habe ich das nie gesehen«, protestierte Elave hitzig. »Ich habe gesagt, ein hilfloses Neugeborenes kann kein Sünder sein. Aber fraglos heißt die Taufe es in der Welt und in der Kirche willkommen und hilft ihm, sich seine Unschuld zu bewahren. Ich habe nie gesagt, sie wäre nutzlos oder nicht von Belang.«
»Aber Ihr bestreitet die Erbsünde?« bedrängte ihn Gerbert.
»Ja«, sagte Elave nach längerem Schweigen. »Ich bestreite sie.« Auf seinem Gesicht lag jetzt eine eisige Blässe, aber sein Kinn war vorgeschoben, und in seinen Augen begann eine tiefe, stille Wut zu glimmen.
Abt Radulfus musterte ihn eingehend und fragte dann mit ruhiger und sachlicher Stimme: »In welchem Zustand, glaubt Ihr, befindet sich demnach ein Kind, das eben zur Welt gekommen ist? Ein Kind, das ein Sohn Adams ist, wie wir alle?«
Elave erwiderte seinen Blick ebenso eingehend, fasziniert von der Gelassenheit der Stimme, die ihn befragte. »Sein Zustand ist derselbe«, sagte er langsam, »wie der Zustand Adams vor dem Sündenfall. Denn selbst Adam hatte einst seine Unschuld.«
»So haben schon andere vor Euch argumentiert«, sagte Radulfus, »und sie wurden nicht unbedingt als Ketzer verurteilt.
Viel ist über dieses Thema geschrieben worden, guten Glaubens und in tiefer Sorge um das Wohl der Kirche. Ist das das Schlimmste, was Ihr, Aldwin, gegen diesen Mann vorzubringen habt?«
»Nein, Vater«, sagte Aldwin hastig, »da ist noch mehr. Er hat gesagt, es wären die eigenen Taten eines Menschen, die ihn verdammen oder erlösen; allerdings wäre ihm nur selten jemand begegnet, der so schlecht war, daß er die ewige Verdammnis hätte befürchten müssen. Und dann sagte er, in Alexandria hätte es einmal einen Kirchenvater gegeben, der behauptet hätte, letzten Endes würde jeder Mensch errettet, sogar die gestürzten Engel, sogar der Teufel selbst.«
Ein Schauder von Unbehagen durchlief die Reihen der Brüder, doch der Abt bemerkte schlicht: »Das ist richtig. Sein Name war Origenes. Er hat gelehrt, daß alle Dinge von Gott kommen und zu ihm zurückkehren müssen. Sofern ich mich recht entsinne, war es einer seiner Gegner, der den Teufel ins Spiel brachte, obwohl ich zugeben muß, daß die Schlußfolgerung nahelag. Wenn ich Euch recht verstanden habe, hat Elave nur zitiert, was Origenes angeblich gesagt und geglaubt hat. Er hat nicht gesagt, daß er es selbst glaubte?
Nun, Aldwin?«
Diese Frage bewog Aldwin, vorsichtig das Kinn einzuziehen und daran zu denken, daß er sich selbst einen Weg durch Schwemmsand bahnen mußte. »Nein, Vater, das stimmt. Er hat nur gesagt, es hätte einen Kirchenvater gegeben, der das behauptete. Aber wir haben gesagt, das wäre Blasphemie, denn die Kirche lehrt uns, daß uns die Erlösung durch die Gnade Gottes widerfährt und durch nichts sonst, und daß das Tun eines Menschen dabei belanglos ist. Aber dann sagte er rundheraus: Das glaube ich nicht!«
»Habt Ihr das gesagt?« fragte Radulfus.
»Das habe ich.« Elave war das Blut zu Kopfe gestiegen, die Blässe seines Gesichts war gewichen, und seine Augen leuchteten. Cadfael verzweifelte an ihm, aber gleichzeitig war er begeistert. Der Abt hatte sein Bestes getan, um all die gärenden Zweifel, die Bosheit und die Angst, die sich wie eine dunkle Wolke über den Kapitelsaal gelegt hatten, zu vertreiben – und da stand dieser dickköpfige Bursche, nahm sämtliche Herausforderungen an und widersprach sogar denen, die ihm zu helfen versuchten. Jetzt, da er zum Kampf herausgefordert war, würde er auch kämpfen. Er würde keinen Schritt
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