Der Ketzerlehrling
verbracht«, sagte Hugh, »denn wie ich höre, haben sie auf einer halben Meile beiderseits der Straße jedes Versteck abgesucht. Wohin seid Ihr gegangen?«
»Zwischen den Bäumen hindurch, um die Gaye herum und ein gutes Stück am Fluß entlang. Dort habe ich in Deckung gelegen, bis ich annahm, daß die Zeit der Vesper nicht mehr fern war.«
»Und Ihr habt während dieser ganzen Zeit niemanden gesehen? Niemand hat Euch gesehen oder mit Euch gesprochen?«
»Ich mußte ja darauf achten, daß niemand mich sah«, sagte Elave. »Ich habe mich vor Verfolgern versteckt. Nein, es gibt niemanden, der bezeugen könnte, wo ich gewesen bin. Aber weshalb sollte ich zurückkehren, wie ich es getan habe, wenn ich vorgehabt hätte, davonzulaufen? In dieser Zeit hätte ich schon den halben Weg zur Grenze zurücklegen können.
Sprecht mich zumindest von dem Vorwurf frei, ich hätte mein Wort gebrochen.«
»Das habt Ihr ganz eindeutig nicht getan«, sagte Abt Radulfus. »Und Ihr könnt mir glauben, ich wußte nichts davon, daß man Jagd auf Euch machte. Ich hätte es nicht zugelassen.
Zweifellos geschah es aus bloßem Eifer, aber es war unangebracht und tadelnswert. Es tut mir leid, daß Ihr das Opfer von Gewalttätigkeit geworden seid. Jetzt glaubt niemand mehr, daß Ihr vorhattet zu flüchten. Ich habe Euer Versprechen gelten lassen, und ich würde es wieder tun.«
Elave schaute mit vor Verwirrung zusammengezogenen Brauen unter Bruder Cadfaels Verband hervor und blickte verständnislos von einem Gesicht zum anderen. »Weshalb dann diese Fragen? Spielt es eine Rolle, wohin ich gegangen bin? Schließlich bin ich zurückgekommen. Worauf wollt Ihr hinaus?« Am längsten und eindringlichsten musterte er Hugh, dessen Autorität weltlicher Art war und der, wenn es um eine Anklage wegen Ketzerei ging, nichts zu tun oder zu sagen hatte. »Worum geht es? Irgend etwas ist geschehen. Was kann es seit gestern Neues geben? Was ist es, wovon ich nichts weiß?«
Alle betrachteten ihn stumm und eindringlich und fragten sich, ob er in der Tat nichts wußte. Konnte ein schlichter Mann sich dermaßen verstellen, zudem einer, dessen Wort der Abt noch am Vortag ohne weiteres angenommen hatte? Aber zu welchem Schluß sie auch gelangten, er konnte noch nicht mitgeteilt werden. Hugh sagte mit vorsichtiger Sanftheit:
»Zuerst solltet Ihr vielleicht erfahren, was Fortunata und ihre Familie ausgesagt haben. Ihr habt Euch zwischen dem Tor und der Brücke von ihr getrennt, das bestätigt sie, und dann kehrte sie nach Hause zurück. Dort traf sie Aldwin und machte ihm Vorwürfe, weil er eine solche Anklage gegen Euch vorgebracht hatte; dabei stellte sich heraus, daß er Angst gehabt hatte, Ihr könntet ihn aus seiner Stellung vertreiben, was, wie Ihr zugeben müßt, für ihn sehr schwer wog.«
»Aber davon konnte überhaupt nicht die Rede sein«, sagte Elave verblüfft. »Das war schon geklärt, als ich meinen Fuß zum ersten Mal ins Haus setzte. Ich hatte nie die Absicht, ihn zu verdrängen, und Dame Margaret hat keinen Zweifel daran gelassen, daß sie ihn nicht vor die Tür setzen würden. Von mir hatte er nichts zu befürchten.«
»Aber er glaubte, das wäre der Fall. Daß es nicht so war, hatte ihm bis dahin niemand mit eindeutigen Worten zu verstehen gegeben. Und als er es erfuhr, da erklärte er – wie alle vier, auch der Hirte, bestätigen – seine Absicht, hinter Euch herzulaufen, um zu gestehen und Euch um Verzeihung zu bitten. Und falls er Euch verfehlte, war er bereit, Euch hierher in die Abtei zu folgen und sein Bestes zu tun, um das, was er Euch angetan hatte, ungeschehen zu machen.«
Elave schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich habe ihn nicht gesehen. Ic h habe zehn Minuten oder länger zwischen den Bäumen gestanden und die Straße beobachtet, bevor ich aufgab und mich auf den Weg zum Fluß machte. Wenn er vorbeigekommen wäre, hätte ich ihn sehen müssen. Vielleicht bekam er es mit der Angst zu tun, als er sah, wie sie die Vorstadt durchkämmten und jeden Winkel nach mir absuchten, und hat daraufhin seine Absicht geändert.« Das wurde ohne Bitterkeit gesagt, sogar mit einem resignierten Lächeln. »Es ist leichter und sicherer, die Hunde von der Leine zu lassen, als sie zurückzupfeifen.«
»Ein wahres Wort!« sagte Hugh. »Es ist schon vorgekommen, daß sie den Jäger gebissen haben, wenn er zwischen sie und die Beute geriet. Ihr habt ihn also nicht gesehen und nicht mit ihm gesprochen? Ihr habt keine Ahnung, wohin er ging oder
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