Der Ketzerlehrling
war noch zu früh, um ganz sicher zu sein. Cadfael fragte vorsichtig: »Was für ein Mann war es? Wie alt?«
»Um die Fünfzig, nehme ich an, leicht ergraut, mit gelichtetem Haar. Ein bißchen krumm und mit Falten im Gesicht. Er fühlte sich nicht wohl und machte sich wegen irgend etwas Sorgen, als ich ihn sah. Seinen Händen nach zu urteilen kein Handwerker, eher ein kleiner Händler oder jemand, der in einem Haus angestellt ist.«
Das klingt besser und besser, dachte Cadfael, und fuhr ermutigt fort: »Habt Ihr ihn deutlich gesehen?«
»Es war nicht in der Kirche. Er kam in den kleinen Raum über dem Portal, in dem Cynric schläft. Auf der Suche nach Vater Boniface, doch statt dessen fand er mich. Wir standen uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber.«
»Aber ihr wußtet nicht, wer er war?«
»Nein, ich kenne kaum jemanden in Shrewsbury. Ich bin noch nie zuvor dort gewesen.«
Es bestand keine Veranlassung, ihn zu fragen, ob er beim Kapitel und bei der anschließenden Verhandlung zugegen gewesen war, und ob er Aldwin nach dieser Begegnung wiedererkannt hätte. Cadfael wußte, daß dies nicht der Fall sein konnte. Die Priesterweihe gab dem jungen Mann noch nicht das Recht, am Kapitel teilzunehmen.
»Und Ihr habt diesem Mann die Beichte abgenommen? Und habt ihm seine Buße auferlegt und ihm die Absolution erteilt?«
»Das habe ich. Und ich habe bei der Buße geholfen. Ihr werdet verstehen, daß ich Euch über seine Beichte nichts sagen darf.«
»Danach würde ich auch nicht fragen. Wenn es der Mann war, von dem ich glaube, daß er es gewesen ist, dann ist nur von Bedeutung, daß Ihr ihn absolviert habt, daß seine Seele Frieden gefunden hat. Denn Ihr müßt wissen«, sagte Cadfael, nicht weniger ernst als der junge Mann selbst, »daß dieser Mann, wenn er es wirklich war, jetzt tot ist. Und da sein Gemeindepriester Grund hat, sich um den Seelenzustand seines verirrten Schafes zu sorgen, möchte er wissen, wie es um ihn bestellt war, bevor er ihn mit allen Riten der Kirche beerdigt. Deshalb wurde jeder Priester in der Stadt befragt, und so bin ich zuletzt zu Euch gekommen.«
»Tot?« fragte Eadmer bestürzt. »Für einen Mann seines Alters befand er sich bei guter Gesundheit. Wie ist das möglich? Und er war glücklicher, als er mich verließ, er hätte doch nicht … Nein! Wie kommt es dann, daß er wenig später tot war?«
»Inzwischen habt Ihr bestimmt gehört«, sagte Cadfael, »daß am Morgen nach dem Festtag ein Mann aus dem Fluß geborgen wurde. Nicht ertrunken, sondern erdolcht. Der Sheriff sucht nach seinem Mörder.«
»Und das ist der Mann?« fragte der junge Priester fassungslos.
»Das ist der Mann, der dringend einen Bürgen braucht. Ob es auch der Mann ist, dem Ihr die Beichte abgenommen habt, kann ich noch nicht mit Gewißheit sagen.«
»Ich weiß nicht, wie er hieß«, sagte der junge Mann zögernd.
»Aber du würdest sein Gesicht wiedererkennen«, sagte sein Onkel, ohne sonst eine Bemerkung zu machen oder ihn irgendwie zu drängen. Das war auch nicht erforderlich. Der junge Eadmer stützte eine Hand auf die Erde, sprang auf und strich sein Gewand glatt. »Ich begleite Euch zurück«, sagte er, »und ich hoffe von ganzem Herzen, daß ich für Euren Ermordeten sprechen kann.«
Sie standen zu viert an der auf Böcken ruhenden Platte, auf der Aldwins Leichnam bis zum Begräbnis aufgebahrt worden war: Girard, Vater Elias, Cadfael und der junge Eadmer. Mehr Personen bot der schmale Schuppen im Hof, ausgefegt und mit grünen Zweigen geschmückt, nicht Platz. Aber diese Zeugen reichten aus.
Auf dem Rückweg nach Shrewsbury war nur wenig gesprochen worden. Eadmer, fest entschlossen, die Unverletzlichkeit dessen, was zwischen ihnen erörtert worden war, nicht preiszugeben, hütete sich sogar, ihre Begegnung zu erwähnen, solange er nicht sicher sein konnte, daß es tatsächlich der Tote war, dem er die Beichte abgenommen hatte.
Vielleicht war er sein erstes Beichtkind gewesen und dementsprechend ehrfürchtig, demütig und andächtig aufgenommen worden.
Sie hatten zuerst Vater Elias aufgesucht und ihn gebeten, sie zu Girards Haus zu begleiten; wenn sich herausstellte, daß diese Hoffnung nicht trog, dann würde es nicht nur sein Gewissen erleichtern, sondern ihm auch erlauben, die Vorbereitungen für die Beisetzung zu treffen. Der kleine Priester kam freudig mit. Er stand am Kopfende der Bahre, an dem Platz, der ihm von Rechts wegen zustand, und seine alten Hände, dünn und gekrümmt wie die
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