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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Kapitelsaal mit gebannter Aufmerksamkeit. Sie trugen beide ihre besten Kleider, waren herausgeputzt, um den vorteilhaftesten Eindruck zu erwecken, das Idealbild des geachteten Bürgers und seiner züchtigen Tochter. Fortunata blieb einen Schritt hinter ihrem Vater stehen und hielt in dieser mönchischen Versammlung die Augen fromm gesenkt, doch als sie sie einen Augenblick lang weit öffnete, um einen Blick durch den Raum schweifen zu lassen und blitzschnell abzuschätzen, wer Freund und wer Feind sein mochte, waren sie eindringlich und hell. Dieser erste, abschätzende Blick registrierte mit Bedauern, daß Chorherr Gerbert nach wie vor anwesend war. In seiner Gegenwart mußte sie den Kummer, den Zorn und die Angst, die sie um Elaves willen empfand, unterdrücken und Girard für sie sprechen lassen. Gerbert würde eine vorlaute Frau zurechtweisen. Doch inzwischen hatte Fortunata ihren Vater über alle Einzelheiten unterrichtet. Sie mußten den Rest des gestrigen Abends, nach Cadfaels Weggehen, damit verbracht haben, sich auf das vorzubereiten, was sie jetzt vorzutragen gedachten.
    Welche Bedeutung einem Detail zuzumessen war, ließ sich noch nicht sagen, doch es boten sich interessante Möglichkeiten. Girard trug unter dem Arm, von Alter und häufiger Handhabung dunkel patiniert und in einem Licht, das das vergoldete Schnitzwerk funkeln ließ, die Schatulle, die Fortunatas Mitgift enthielt.
    »Ehrwürdiger Abt«, sagte Girard, »ich danke Euch für Euer Entgegenkommen. Ich komme in der Sache des jungen Mannes, den Ihr hier gefangengesetzt habt. Jedermann weiß, daß sein Ankläger eines gewaltsamen Todes gestorben ist, und obwohl Elave dieses Verbrechens bisher nicht angeklagt wurde, war, wie Ihr wissen werdet, überall die Rede davon, daß er der Mörder sein müsse. Inzwischen werdet Ihr vom Sheriff erfahren haben, daß dies nicht der Fall ist. Zu der Zeit, als Elave ergriffen und gefangengenommen wurde, war Aldwin noch am Leben. Was den Mord angeht, so steht seine Unschuld zweifelsfrei fest. Es war die Aussage eines Priesters, die ihn entlastete.«
    »Ja, das ist uns bekannt«, sagte der Abt. »In dieser Hinsicht ist Elave von jedem Verdacht befreit. Ich freue mich, seine Unschuld bestätigen zu können.«
    »Und ich begrüße Euer gutes Wort«, sagte Girard mit Nachdruck, »als jemand, der ein Recht darauf hat, in dieser Sache zu sprechen und angehört zu werden. Sowohl Aldwin als auch Elave gehörten zum Haushalt meines Onkels und jetzt zu meinem, und ich bin für beide verantwortlich. Einer meiner Leute ist eines gewaltsamen Todes gestorben, und ich will, daß sein Mörder gefunden wird. Ich heiße nicht alles gut, was er getan hat, aber ich weiß, was für ein Mensch er war, und ich kann sein Denken und Handeln verstehen. Das mindeste, was ich für ihn tun kann, ist, ihn anständig zu begraben und nach Kräften zu helfen, seinen Mörder ausfindig zu machen. Aber ich habe auch eine Pflicht gegenüber Elave, der noch am Leben ist und gegen den eine schwerwiegende Anklage jetzt zusammengebrochen ist. Wollt Ihr mich seinetwegen anhören, Ehrwürdiger Abt?«
    »Das will ich gern tun«, sagte Radulfus. »Fahrt fort.«
    »Ist dies die rechte Zeit und der rechte Ort für eine solche Bitte?« wendete Chorherr Gerbert ein; er bewegte sich ungeduldig auf seinem Stuhl und bedachte den soliden Bürger, der so fest auf den Steinplatten des Fußbodens stand, mit einem finsteren Blick. »Wir sind nicht hier, um die Sache dieses Mannes zu erörtern. Das Zurückziehen einer Anklage …«
    »Die Anklage wegen Mordes wurde nie erhoben«, fiel Radulfus ihm ins Wort, »und kann, wie es jetzt aussieht, auch nie erhoben werden.«
    »Das Zurückziehen eines Verdachtes«, fuhr Gerbert unbeirrt fort, »hat keinerlei Einfluß auf die Anklage, die erhoben worden ist und über die das Urteil noch aussteht. Es ist nicht der Sinn des Kapitels, unangebrachte Bitten anzuhören, die zu einer Befangenheit führen könnten, wenn der Bischof seine Wünsche kundtut. Sie zuzulassen, wäre ein Verstoß gegen die Form.«
    »Meine Herren«, sagte Girard mit bewundernswerter Ruhe und Gelassenheit, »ich habe einen Vorschlag zu machen, von dem ich glaube, daß er vernünftig und durchführbar ist, wenn Ihr zustimmt. Bevor ich ihn mache, muß ich sagen, was ich über Elave weiß, seinen Charakter und die Dienste, die er meinem Haushalt erwiesen hat. Es ist wichtig.«
    »Ich finde das vernünftig«, sagte der Abt unerschütterlich.
    »Wir werden Euch

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