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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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das Risiko des Verlustes eingehen?«
    Sie hob die Lider, und einen Augenblick lang blitzten ihre nußbraunen Augen auf. »Nicht alle, Vater«, sagte sie, und aus der leisen, töchterlich zurückhaltenden Stimme klang Herausforderung. Und für Cadfael, der sie beobachtete, war offensichtlich, daß Radulfus, obwohl er seine strenge Miene beibehielt, Gefallen daran fand.
    »Möglicherweise wißt Ihr nicht, Vater«, erklärte Girard bedächtig und sogar ein wenig selbstzufrieden, »daß Frauen nur auf Gewißheit setzen. Nun, das ist es, was ich vorschlagen wollte, und ich verspreche Euch, daß ich meinen Teil daran getreulich erfüllen werde, wenn Ihr Euch entschließt, ihn in meine Obhut zu entlassen. Ihr könnt sicher sein, daß Ihr ihn jederzeit in meinem Hause finden werdet. Man hat mir berichtet, daß er nicht davonlaufen wollte, als er noch die Gelegenheit dazu hatte; jetzt wird er es erst recht nicht tun, weil Fortunata dadurch einen großen Verlust erleiden würde. Wie Ihr annehmt«, setzte er hinzu, »denn ich habe nicht die geringsten Befürchtungen.«
    Radulfus hatte den Chorherrn Gerbert zu seiner Rechten und Prior Robert zu seiner Linken und wußte, daß er sich zwischen zwei Säulen der Orthodoxie befand. Der Buchstabe des kanonischen Rechts war Robert heilig, und der Einfluß eines Erzbischofs, vertreten durch den sein Vertrauen genießenden Abgesandten, förderte ein Denken, das ohnehin zur Starre neigte. Robert mochte zwar zwischen seinem Abt und Erzbischof Theobalds Stellvertreter hin und her gerissen sein und würde sich gewiß bemühen, es beiden recht zu machen, aber wenn es hart auf hart ging, würde er Gerberts Partei ergreifen. Cadfael, der beobachtete, wie er mit fromm gefalteten Händen, gewölbten Brauen und verkniffenem Mund innerlich Argumente formulierte, konnte fast schon die Worte hören, mit denen er dem zustimmte, was Gerbert sagte, und es gleichzeitig subtil vermied, genau dasselbe zu sagen. Und wenn Cadfael seinen Mann kannte, so kannte ihn auch der Abt.
    Was Gerbert selbst anging, so gewann Cadfael einen plötzlichen, bestürzenden Einblick in eine Denkweise, die ihm selbst völlig fremd war. Dieser Mann hatte tatsächlich irgendwo in Europa das gähnende Chaos erblickt und es mit der Angst zu tun bekommen, nachdem er erlebt hatte, mit welchen Schlichen der Teufel durch den Mund der Menschen wirkte, wie die Christenheit durch die falschen Lehren lautstarker Propheten beschädigt wurde, die aus der Hölle hervorquollen wie Blasen aus einem Kochtopf und durch die bösartigen Exzesse ihrer verblendeten Gefolgsleute in aller Welt zerstreut wurden. Da war nichts unecht an dem Entsetzen, mit dem Gerbert die Bedrohung durch die Ketzerei betrachtete, aber wie er es fertigbrachte, sie in einer offenen Seele wie der Elaves zu finden, blieb unerklärlich.
    Auch der Abt konnte es sich nicht leisten, sich dem Abgesandten des Erzbischofs zu widersetzen, wenn auch zu vermuten stand, daß Theobald selbst ausgeglichenere und gemäßigtere Ansichten hegte über Leute, die sich veranlaßt fühlten, sich Gedanken über den Glauben zu machen. Eine Bedrohung, die dem Papst, den Kardinalen und Bischöfen in anderen Ländern schwere Sorgen machte, mußte, so verschwommen sie auch erscheinen mochte, ernstgenommen werden. Es hat vieles für sich, eine Insel abseits des großen Stroms zu sein. Invasionen, Unheil und Seuchen erreichen einen langsamer, und dann treffen sie so geschwächt ein, als hätten sie sich bereits verausgabt. Doch selbst die Abgelegenheit war nicht immer ein sicherer Schild.
    »Ihr habt«, sagte Radulfus, »ein Angebot gehört, das großmütig ist. Es kommt von einem Mann, dessen Aufrichtigkeit außer Zweifel steht. Wir müssen uns darüber klarwerden, wie wir darauf antworten sollen. Ich selbst habe nur einen Vorbehalt, und wenn diese Angelegenheit ausschließlich unsere klösterliche Gemeinschaft beträfe, hätte ich überhaupt keinen. Laßt mich hören, wie Ihr darüber denkt, Chorherr Gerbert.«
    Es half nichts, er würde seine Meinung gewiß nachdrücklich vertreten, aber da er gezwungen war, als erster zu sprechen, konnte seiner Unerbittlichkeit hinterher wenigstens die Spitze genommen werden.
    »In einer derart schwerwiegenden Sache«, sagte Gerbert, »bin ich strikt gegen jede Milderung. Es stimmt, und ich erkenne es an, daß sich der Angeklagte einmal in Freiheit befunden hat und seinem Wort gemäß aus freien Stücken zurückgekehrt ist. Aber ich finde, daß wir mit einem

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