Der Ketzerlehrling
ganz bestimmten Zweck, eine Rast zum Nachdenken nach einer Reise durch die halbe Welt. Er saß da und beobachtete, wie sich die Tür öffnete, und sie wurde nicht vorsichtig Zoll um Zoll geöffnet, sondern schwungvoll und bis an die Wand schlagend, und Bruder Cadfael kam herein.
»Mein Sohn, Ihr bekommt Besuch!« Er winkte sie an sich vorbei in den kleinen, steinernen Raum und sah, wie Elaves verblüfftes Gesicht plötzlich zu strahlen begann. »Wie geht es Eurem Kopf heute morgen?«
Cadfael hatte schon am Vortag den Verband für überflüssig erklärt; in Elaves dichtem Haar sah man nur noch eine trockene, verschorfte Stelle. Elave sagte benommen: »Gut, sehr gut.«
»Keine Schmerzen mehr? Dann ist meine Arbeit getan. Und nun«, sagte Cadfael und zog sich ans Fußende des Bettes zurück, wo er sich mit dem Rücken zur Zelle niederließ, »bin ich einer der Steine der Mauer. Ich habe Anweisung, bei Euch zu bleiben, aber Ihr könnt mich für taubstumm halten.«
Wie es schien, hatte er aus zweien der drei Personen, die er auf so unzeremoniöse Art zusammengebracht hatte, Stumme gemacht. Elave war aufgesprungen und starrte Fortunata ebenso an, wie sie ihn anstarrte, errötet und großäugig, ohne ein Wort hervorzubringen. Nur ihre Augen waren noch beredt; Cadfael hatte ihnen nicht so vollständig den Rücken zugekehrt, daß er sie nicht aus dem Augenwinkel heraus beobachten konnte, und er las aus ihnen, was nicht ausgesprochen wurde.
Die beiden hatten nicht lange gebraucht, um sich füreinander zu entscheiden. Aber er durfte nicht vergessen, daß nur das Entdecken so plötzlich gekommen war. Sie hatten sich vom Kindesalter bis zu ihrem elften Lebensjahr gekannt und im gleichen Haushalt gelebt, und auf andere Art hatte gewiß eine Bindung zwischen ihnen bestanden, zweifelos von seiner Seite aus nachsichtig und herablassend, von ihrer vermutlich scheu und sehnsüchtig. Auf die Befriedigung ihrer Sehnsucht hatte sie warten müssen, bis er wieder nach Hause gekommen war und gesehen hatte, daß die Knospe erblüht war.
»Nun, mein Junge!«, sagte Girard herzlich, nachdem er den jungen Mann von Kopf bis Fuß gemustert und ihm beide Hände geschüttelt hatte. »Da bist du nun endlich von deiner langen Reise zurückgekehrt, und ich war nicht einmal da, um dich willkommen zu heißen! Aber jetzt tue ich es, und mit Freuden.
Ich hätte nie damit gerechnet, dich in einer derart mißlichen Lage anzutreffen, aber mit Gottes Hilfe wird alles gut ausgehen.
Nach allem, was ich gehört habe, hast du Onkel William getreulich beigestanden. Und soweit es in unseren Kräften steht, werden wir dir helfen.«
Elave schüttelte mühsam seine Verblüffung ab, schluckte und ließ sich auf sein Bett sinken. »Ich hätte nie gedacht«, sagte er, »daß man Euch erlauben würde, mich zu besuchen. Ich danke Euch, daß Ihr Euch um mich sorgt, aber geht meinetwegen kein Risiko ein. Wer Pech anfaßt, muß damit rechnen, daß er sich besudelt! Ihr wißt, was man mir vorwirft? Ihr solltet nicht in meine Nähe kommen«, setzte er nachdrücklich hinzu, »noch nicht, nicht, bevor ich meine Freiheit wiederhabe. Ich bin ansteckend!«
»Aber weißt du«, sagte Fortunata, »daß du nicht mehr verdächtigt wirst, Aldwin etwas angetan zu haben? Das ist vorbei und eindeutig bewiesen.«
»Ja, ich weiß es. Bruder Anselm hat es mir gesagt, nach der Prim. Aber das ist nur die eine Hälfte.«
»Die größere Hälfte«, sagte Girard und ließ sich auf dem kleinen, hohen Schemel nieder, auf dem sein massiger Körper an beiden Seiten überquoll.
»So denken nicht alle hier«, sagte Elave ernst. »Fortunata hat sich schon einige Mißbilligung zugezogen, weil sie nicht eifrig genug Partei gegen mich ergriff, als sie befragt wurde. Ich möchte um nichts in der Welt ihr oder Euch in irgendeiner Weise schaden. Ich wäre wesentlich beruhigter, wenn Ihr Euch von mir fernhalten würdet.«
»Wir haben die Erlaubnis des Abtes, dich aufzusuchen«, sagte Girard, »und, soweit ich feststellen konnte, auch sein Wohlwollen. Wir sind zum Kapitel gekommen, Fortunata und ich, weil wir deinetwegen ein Angebot machen wollten. Und wenn du glaubst, daß einer von uns sich zurückzieht und dich im Stich läßt, nur weil ein paar übereifrige Leute ständig nach Bösem schnüffeln, dann irrst du dich. Mein Name hat in dieser Stadt einen guten Klang und kann eine ganze Menge Klatsch aushalten. Und das soll deiner auch, sobald dies vorüber ist.
Wir hatten gehofft, daß man dich
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