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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Inbrunst bei der anderen. Vielleicht hatte es andere gegeben, die weniger bereit waren, den Krieg zu erklären, wenn jemand nur ein Wort fallenließ, und die von ihren Theologen-Kollegen gut sprachen und dachten, selbst wenn sie anderer Ansicht waren; aber wenn dem so war, so mußten all ihre Bücher und möglicherweise auch sie selbst verbrannt worden sein.
    »Je länger ich in diesen Büchern lese«, hatte er zu Bruder Anselm gesagt, »desto mehr beginne ich von Ketzern zu halten. Vielleicht bin ich wirklich einer. Wenn sie alle behauptet haben, sie glaubten an Gott und versuchten, auf eine ihm gefällige Art zu leben, wie konnten sie sich dann gegenseitig so sehr hassen?«
    Im Verlauf von ein paar Tagen vertraulichen Umgangs miteinander hatte sich zwischen ihnen ein Verhältnis herausgebildet, bei dem es möglich war, solche Fragen offen zu stellen und zu beantworten. Und Anselm hatte eine Seite des Origenes aufgeschlagen und gelassen geantwortet: »Es liegt daran, daß sie zu formulieren versuchten, was zu gewaltig und zu geheimnisvoll ist, als daß es formuliert werden könnte.
    Sobald sie einmal Blut geleckt hatten, konnten sie nichts anderes mehr tun, als über jeden herzufallen, dessen Ansichten von ihren eigenen Vorstellungen abwichen. Und jede rivalisierende Ansicht führte denjenigen, der zu ihr gelangt war, immer tiefer in den Sumpf. Die einfältigen Seelen, die keinerlei Schwierigkeiten hatten und keine Ahnung von Formeln, wanderten trockenen Fußes über den gleichen Sumpf und wußten nicht einmal, daß es ihn gab.«
    »Das war vermutlich das, was ich getan habe«, sagte Elave traurig, »bis ich hierherkam. Jetzt stecke ich bis zu den Knien darin und weiß nicht, ob ich je wieder herauskomme.«
    »Oh, Ihr habt vielleicht Eure rettende Unschuld verloren«, sagte Anselm beruhigend, »aber wenn Ihr versinkt, dann im Morast der Worte anderer Männer, nicht in Eurem eigenen. Sie haben keinen so festen Zugriff. Ihr braucht das Buch nur zuzuklappen.«
    »Zu spät! Jetzt gibt es Dinge, die ich wissen möchte. Wie sind Vater und Sohn erstmals drei geworden? Wer hat als erster über die Dreifaltigkeit geschrieben, um uns alle zu verwirren? Wie können es drei sein, alle gleichrangig, die dennoch nicht drei sind, sondern nur einer?«
    »Wie die drei Blätter eines Kleeblatts drei sind und gleichrangig, aber in einem Blatt vereinigt«, schlug Anselm vor.
    »Und das vierblättrige Kleeblatt, das Glück bringt? Was bedeutet das vierte Blatt? Die Menschheit? Oder sind wir der Stengel der Dreifaltigkeit, der alles zusammenhält?«
    Anselm schüttelte den Kopf, aber mit gelassener Heiterkeit und einem duldsamen Lächeln. »Ihr solltet nie ein Buch schreiben, mein Sohn! Man würde Euch zwingen, es zu verbrennen!«
    Jetzt saß Elave in seiner Abgeschiedenheit, in der er sich nicht übermäßig einsam fühlte, und dachte über dieses und andere Gespräche nach, die in den letzten paar Tagen zwischen dem Gefangenen und dem Vorsänger geführt worden waren. Er dachte darüber nach, ob ein Mensch besser daran war, wenn er überhaupt nichts las, ganz zu schweigen von diesen labyrinthischen theologischen Werken, die nichts anderes zu bewirken schienen, als das Klare und Helle schlammig und trübe zu machen, indem sie alles, was sie anrührten, in Worte kleideten, die so undurchschaubar und formlos waren wie Nebel, weit außerhalb des Begriffsvermögens der gewöhnlichen Leute, die den größten Teil der Menschheit ausmachen. Wenn er durch das Fenster seiner Zelle hinausschaute auf einen schmalen Spitzbogen aus blaßblauem Himmel, bewegt von bebenden Blättern und gefiedert mit ein paar leuchtendweißen Wolkenstreifen, dann kam ihm alles wieder strahlend und einfach vor, in Reichweite selbst der simpelsten Gemüter, unparteiisch und gütig gegen jedermann.
    Er fuhr zusammen, als er hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Tagsüber drangen die Geräusche der Außenwelt durch das Fenster zu ihm herein, und das Läuten der Glocke informierte ihn über die Tageszeit. Er hatte sich sogar an das Horarium gewöhnt und nahm niederkniend an den regelmäßigen Gottesdiensten teil. Denn Gott war kein Teil des Morastes oder des Labyrinths, und ihm konnte man nicht vorwerfen, was die Menschen aus seiner leuchtenden Eindeutigkeit gemacht hatten.
    Doch das Geräusch des Schlüssels im Schloß gehörte zu seiner eigenen, praktischen Alltagswelt. Seine Verbannung aus ihr konnte nur vorübergehend sein, sie erfüllte vielleicht einen

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