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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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dieses Monats Juni, enthielt, nicht dasselbe ist, was sie heute, am fünfundzwanzigsten, enthält.«
    »Ein normales Format«, sagte Bruder Anselm und demonstrierte es mit den Händen auf dem Pult. »Der Bogen wird so gefaltet, daß er acht Blätter ergibt – das würde genau in die Schatulle passen. Höchstwahrscheinlich wurde sie eigens dafür angefertigt.«
    »Aber wenn die Schatulle und das Buch gleichzeitig entstanden wären«, wendete Cadfael ein, »dann wäre das Buch nicht mit Laschen am Rücken versehen worden. Das wäre unnötig gewesen.«
    »Das kann sein, aber vielleicht hat der Buchbinder sie nur angebracht, weil es allgemein üblich ist. Es ist durchaus möglich, daß die Schatulle erst später dafür angefertigt wurde.
    Wenn das Buch zuerst in Auftrag gegeben wurde, dann hätten Schreiber und Binder es auf die übliche Art hergestellt. Aber wenn es die Art von Buch war, die es in Anbetracht der Spuren, die es zurückgelassen hat, gewesen sein könnte, dann ist durchaus denkbar, daß sein Besitzer später ein Behältnis dafür nach seinen eigenen Wünschen anfertigen ließ, damit es nicht durch das ständige Herausziehen aus einer Truhe zwischen anderen, weniger wertvollen Büchern abgerieben wurde.«
    Cadfael strich mit den Fingern über das Stückchen aus purpurfarbenem Pergament, glättete den Saum aus hauchdünnem Flaum an der Rißkante. Winzige Fäserchen blieben an seinen Fingern haften, Stäubchen aus blauem Dunst. »Ich habe mit Haluin gesprochen, der mehr über Pergament und Farbstoffe weiß, als ich je wissen werde. Ich wünschte, er wäre hier gewesen, um es selbst sehen zu können. Aber er sagte dasselbe, was Ihr eben sagtet. Purpur ist die Farbe der Herrscher, Gold auf purpurnem Pergament müßte ein Buch für einen Kaiser sein. Sowohl im Osten wie im Westen sind solche Bücher geschrieben worden. Gold und Purpur waren die Symbole der Herrscher.«
    »Sie sind es nach wie vor. Und hier haben wir Purpur und Spuren von Gold. Im Alten Rom«, sagte Anselm, »kleideten sich die Caesaren auf die gleiche Art – ein Vorrecht, das eifersüchtig gehütet wurde. Ich glaube nicht, daß ein anderer gewagt hätte, sich derart hervorzuheben. Und es ist bekannt, daß die Kaiser in Aachen und Byzanz dem Beispiel der Caesaren gefolgt sind.«
    »Und aus welchem Reich, sofern wir recht haben, daß diese Schatulle ein Buch enthielt, stammen diese Kunstwerke? Könnt Ihr die Zeichen deuten?«
    »Dazu müßtet Ihr eigentlich eher imstande sein als ich«, sagte Anselm. »Schließlich seid Ihr, anders als ich, in diesen Teilen der Welt gewesen. Löst Euer Rätsel selbst.«
    »Das Elfenbein wurde von einem Handwerker geschnitzt, der aus Konstantinopel oder seiner Umgebung stammt. Aber er kann auch im Westen gearbeitet haben. Zwischen den beiden Höfen herrschte reger Verkehr, schon seit der Zeit Karls des Großen. Merkwürdig ist, daß die Schatulle Merkmale von beidem zeigt, denn die Holzschnitzerei ist kein Werk des Ostens. Das Holz selbst kenne ich nicht, aber ich nehme an, daß es aus dem Mittelmeerraum stammt. Vielleicht Italien? Wie all diese Materialien und Kunstformen von so unterschiedlichen Orten zusammenkamen und sich zu einem so kleinen und einzigartigen Gegenstand vereinigten!«
    »Der einst, vielleicht, einen noch kleineren und einzigartigeren enthielt. Und wer weiß, wer der Schreiber war, der – durchweg in Gold, meint Ihr nicht auch, auf purpurnem Pergament – einen Text schrieb, und für welchen Fürsten von Byzanz oder Rom er geschrieben wurde? Oder wer der Maler war, der das Buch ausschmückte, und in welchem Stil, dem des Ostens oder dem des Westens?«
    Bruder Anselm schaute auf den sonnigen Hof hinaus, versunken in einen Traum von einem Schatz, der Art von Schatz, die ihm am besten gefiel, Worte und Neumen, geschrieben mit liebevoller Sorgfalt zum Vergnügen von Königen, und geschmückt mit kunstvoll ausgeführten Ranken und Blüten.
    »Es könnte durchaus ein Wunderwerk gewesen sein«, sagte er andächtig.
    »Und ich frage mich«, sagte Cadfael, eher für sich als für jemand anderen, »wo es sich jetzt wohl befindet.«
    Am frühen Abend kam Fortunata in Jevans Werkstatt und traf ihn dabei an, wie er gerade sein Werkzeug aufräumte und das feine, weiße Pergament, das er gerade zusammengefaltet hatte, ins Regal legte. Durch dreifache Faltung war es zu einer Lage aus acht Blättern geworden, aber er hatte die Kanten noch nicht beschnitten. Fortunata trat neben ihn und strich mit dem

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