Der Ketzerlehrling
Ich mache hier zu, und dann gehen wir hinüber.«
Sie achtete nicht auf seine Worte. Ihre Augen wanderten über seine Regale und das Gestell, auf dem die größten Bogen hingen, auf Doppelfolio zugeschnitten für eine große Chorpult-Bibel. Sie glitten darüber hinweg zu den achtblättrigen Lagen des Formats, das in ihre Schatulle paßte.
»Onkel, du hast doch ein paar Bücher in diesem Format, nicht wahr?«
»Es ist das gebräuchlichste«, sagte er. »Ja, das beste Stück, das ich habe, hat dieses Format. Es ist in Frankreich entstanden. Gott weiß, wie es seinen Weg auf den Jahrmarkt von Shrewsbury gefunden hat. Warum fragst du?«
»Dann würde es in meine Schatulle passen. Ich möchte sie dir schenken. Warum auch nicht? Sie ist so hübsch, und sie ist wertvoll; sie sollte hier im Hause bleiben. Aber ich kann nicht lesen und habe kein Buch, das ich hineinlegen könnte.
Außerdem«, sagte sie, »bin ich mit meiner Mitgift zufrieden und Onkel William dankbar, daß er sie mir vermacht hat. Wir wollen es nach dem Abendessen versuchen. Zeig mir deine Bücher noch einmal. Sie sind wunderschön anzusehen, auch wenn man nicht darin lesen kann.«
Jevan stand da und schaute von seiner mageren Höhe auf sie herab, ernst und still. Wie er so reglos dastand, wirkte alles an ihm ein wenig länger als sonst; er sah aus wie ein in die Kehlung eines Kirchenportals gemeißelter Heiliger, von seinem schmalen Gelehrtengesicht bis zu den Schnabelschuhen an seinen schmalen, sehnigen Füßen und den schlanken, geschickten Händen. Seine tiefliegenden Augen musterten ihr Gesicht, und er schüttelte den Kopf über ihr voreiliges und unüberlegtes Anerbieten.
»Kind, du solltest nicht alles, was du hast, einfach wegschenken, bevor du seinen Wert kennst oder weißt, wozu du es in Zukunft noch brauchen wirst. Tu nichts aus einer Laune heraus, es könnte dir später leid tun.«
»Nein«, sagte Fortunata. »Weshalb sollte es mir leid tun, wenn ich etwas, für das ich keine Verwendung habe, jemandem schenkte, der guten und angemessenen Gebrauch davon machen wird? Und willst du etwa behaupten, daß du die Schatulle nicht gern hättest?« Gewiß funkelten seine dunklen Augen – nicht direkt vor Habgier, aber doch mit unbestreitbarem Verlangen. »Komm mit zum Essen, und hinterher probieren wir aus, wie sie zusammenpassen. Und ich bitte Vater, mein Geld für mich aufzubewahren.«
Das französische Brevier war eines von den sieben handgeschriebenen Büchern, die Jevan im Lauf der Jahre bei seinen Geschäften mit Kirchenmännern und Gönnern erworben hatte. Als er den Deckel der Truhe öffnete, in der er sie aufbewahrte, sah Fortunata, wie sie nebeneinander und mit den Rücken nach oben dastanden, zu einer Seite geneigt, weil er noch nicht genug Bücher besaß, um den Raum ganz ausfüllen zu können. Zwei trugen auf dem Rücken verblassende lateinische Aufschriften, eines hatte einen rot gefärbten Einband; die übrigen waren ursprünglich alle in elfenbeinfarbenes, über dünne Holzdeckel gezogenes Leder gebunden gewesen, aber einige davon waren so alt, daß sie die gleiche blaßbraune Farbe angenommen hatten wie die Auskleidung ihrer Schatulle. Sie hatte sie zuvor schon etliche Male gesehen, aber noch nie so genau betrachtet wie jetzt. Und am oberen und am unteren Ende jedes Rückens saßen die kleinen, runden Lederlaschen, an denen man die Bücher herausziehen konnte.
Jevan nahm sein Lieblingsbuch heraus, dessen Einband fast noch jungfräulich weiß war. Er schlug es auf gut Glück auf, und die leuchtenden Farben traten hervor, als wären sie gerade erst aufgetragen worden, eine Bordüre am rechten Rand, die sich über die ganze Länge der Seite erstreckte, sehr schmal und zierlich, aus ineinander verwobenen Blättern und Ranken und Blüten, der Rest der Seite in zwei Spalten beschrieben, mit einem großen Initial und fünf kleineren am Anfang von Absätzen, und bei jedem diente der Buchstabe als Rahmen für eine reizvolle Miniatur aus Blüten und Farn. Der Exaktheit der Malerei entsprach die Reinheit des Blaus, Rots, Goldes und Grüns, doch vor allem das Blau erfüllte und befriedigte das Auge mit einer durchscheinenden Kühle, die eine wahre Wohltat war.
»Es ist in einem so hervorragenden Zustand«, sagte Jevan und strich liebevoll über den glatten Einband, »daß ich annehme, daß es gestohlen und weit von dem Ort fortgeschafft wurde, an dem es sich einst befand, bevor der Händler es zu verkaufen wagte. Das ist der Anfang der
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