Der Ketzerlehrling
Zeigefinger über die glatte Fläche.
»Das wäre das richtige Format«, sagte sie nachdenklich.
»Das richtige Format für viele Zwecke«, sagte Jevan. »Aber wie kommst du darauf? Richtig wofür?«
»Für ein Buch, das genau in meine Schatulle paßt.« Sie blickte mit ihren klaren braunen Augen zu ihm auf. »Du weißt, daß ich mit Vater in der Abtei war, und daß wir versucht haben, Elave freizubekommen, damit er bei uns wohnen kann, bis sein Fall verhandelt wird? Sie haben es abgelehnt. Aber sie haben sich sehr für die Schatulle interessiert. Bruder Anselm, in dessen Obhut sich alle Bücher der Abtei befinden, wollte sie sich genauer ansehen. Stell dir vor, sie glauben, daß sie einst ein Buch enthalten hat! Weil sie genau die richtige Größe hat für eine dreifach gefaltete Schafhaut. Und weil die Schatulle so hübsch ist, muß es ein sehr kostbares Buch gewesen sein.
Glaubst du, daß sie recht haben könnten?«
»Möglich ist alles«, sagte Jevan. »Der Gedanke war mir noch nicht gekommen. Aber jetzt, da du es erwähnst, muß ich zugeben, daß das Format der Schatulle darauf hindeuten könnte. Sie wäre gewiß ein prächtiges Behältnis für ein Buch.«
Er blickte mit seinem vertrauten dunklen Lächeln auf ihr Gesicht herab. »Ein Jammer, daß der Inhalt verlorenging, bevor Onkel William in Tripoli darauf stieß! Aber ich könnte mir vorstellen, daß sie bis dahin schon für alle möglichen Zwecke verwendet worden ist. Das ist eine unruhige Gegend, in der es leichter ist, ein Königreich der Christenheit zu gründen, als es zu bewahren.«
»Ich bin jedenfalls froh«, sagte Fortunata, »daß nicht irgendein altes Buch in der Schatulle war, sondern gute Silbermünzen. Ich kann nicht lesen – was sollte ich mit einem Buch anfangen?«
»Auch ein Buch hätte seinen Wert gehabt. Einen großen Wert, wenn es schön geschrieben und illuminiert gewesen wäre. Aber ich freue mich, daß du zufrieden bist mit dem, was du hast, und ich hoffe, es bringt dir ein, was du haben möchtest.«
Sie strich mit der Hand über das Bord und betrachtete stirnrunzelnd den feinen Belag aus Staub, den sie auf ihrer Handfläche entdeckte. Genau so, wie die Mönche über die Auskleidung der Schatulle gestrichen und in dem Staub, der sich darin befand, etwas Bedeutsames gesehen hatten. Sie hatte das sekundenlange Aufblitzen von Gold im Sonnenlicht gesehen; mehr hatte sie nicht begriffen. Sie betrachtete ihre Hand und wischte dann den kaum wahrnehmbaren samtigen Staub ab. »Es ist Zeit, daß ich dein Zimmer wieder einmal saubermache«, sagte sie. »Du hältst alles so ordentlich, aber es muß abgestaubt werden.«
»Wann immer du willst!« Jevan ließ einen beiläufigen Blick durch den Raum schweifen. »Ja. Es sammelt sich an. Sogar hier, wo ich nur die fertigen Häute aufbewahre, sondern sie einen ganz besonderen Staub ab. Ich lebe damit, ich atme ihn ein, deshalb fällt er mir nicht auf. Ja, du kannst abstauben und putzen, wann immer es dir paßt.«
»In deiner anderen Werkstatt am Fluß muß es noch viel schlimmer aussehen«, sagte sie, »bei all dem Abschaben von Häuten, den ständigen Gängen zum Fluß und zurück, von denen du mit schlammigen Schuhen zurückkommst, und dann die Häute, wenn du sie zum Einweichen hinbringst, und all das Haar … Und ziemlich übel riechen muß es auch«, sagte sie und rümpfte schon beim Gedanken daran die Nase.
»Aber nein, mein Kind!« Jevan lachte über ihre angewiderte Miene. »Conan macht meine Werkstatt sauber, sooft es nötig ist, und er tut es gründlich. Wenn er nicht bei den Schafen gebraucht würde, könnte ich ihn sogar das Handwerk lehren. Er ist nicht dumm, er weiß bereits jetzt eine ganze Menge davon, wie man Pergament macht.«
»Aber Conan wird in der Burg festgehalten«, erinnerte sie ihn ernst. »Der Sheriff ist immer noch auf der Suche nach jemandem, der Auskunft darüber geben kann, wo er an dem Tag, an dem Aldwin getötet wurde, gewesen ist und was er getan hat, bevor er zu den Weiden hinausging. Du glaubst doch auch nicht, daß er einen Menschen umbringen könnte?«
»Wer könnte das nicht«, sagte Jevan gleichgültig, »wenn Zeit und Gelegenheit günstig sind? Aber nein, nicht Conan. Früher oder später werden sie ihn freilassen. Er wird wiederkommen.
Was kann es ihm schon schaden, wenn er ein paar Tage schwitzen muß? Und meiner Werkstatt schadet es auch nicht, wenn es eine Weile dauert, bis sie wieder saubergemacht wird.
Und wie wäre es jetzt mit Abendessen?
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