Der Ketzerlehrling
Heiligengebete, deshalb das große Initial. Sieh dir die Veilchen an, wie naturgetreu ihre Farbe ist!«
Fortunata öffnete die Schatulle auf ihren Knien. Die Farbe der Auskleidung verschmolz mit der helleren Farbe des Einbands.
Das Buch paßte genau hinein. Als der Deckel geschlossen war, hielt die leichte Haftkraft der Auskleidung das Buch unverrückbar an Ort und Stelle.
»Siehst du?« sagte sie. »Es ist doch viel besser, wenn sie einen Zweck erfüllt! Und es sieht wirklich und wahrhaftig so aus, als wäre sie eigens dafür angefertigt worden.«
In der Truhe war noch Platz für die Schatulle. Jevan klappte den Deckel zu und blieb einen Moment auf den Knien; seine langen Hände lagen liebkosend und ehrfürchtig auf dem Holz.
»Also gut! Auf jeden Fall kannst du sicher sein, daß ich sie in Ehren halten werde.« Er erhob sich, doch seine Augen ruhten nach wie vor auf der Truhe, die seine Schätze enthielt, und ein verstohlenes, schattenhaftes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Weißt du, Kind, daß ich diese Truhe bisher nie verschlossen habe? Aber jetzt, da dein Geschenk darin liegt, werde ich sie immer abschließen.«
Sie gingen zusammen zur Tür, wobei seine Hand auf ihrer Schulter lag. Am Kopf der Treppe, die in die Diele hinunterführte, blieb sie stehen und wendete ihm plötzlich das Gesicht zu. »Onkel, du sagtest vorhin, Conan hätte dadurch, daß er dir gelegentlich hilft, eine Menge von deinem Handwerk gelernt. Würde er wissen, welchen Wert Bücher haben können?
Und wenn er zufällig auf ein überaus wertvolles Buch stieße – würde er wissen, was er vor sich hat?«
12. Kapitel
Am sechsundzwanzigsten Tag des Juni stand Fortunata früh auf; ihr erster wacher Gedanke war, daß es der Tag von Aldwins Begräbnis war. Es verstand sich von selbst, daß der ganze Haushalt daran teilnahm, das war man ihm aus vielerlei Gründen schuldig für Jahre treuer Dienste, nicht überragend, aber gewissenhaft, Jahre der Vertrautheit mit seiner harmlosen, immer etwas unglücklichen Gestalt im Hause, und dem Mitleid und dem unbestimmten Gefühl, ihn jetzt, da er ein so unerwartetes Ende gefunden hatte, irgendwie im Stich gelassen zu haben. Und die letzten Worte, die sie zu ihm gesprochen hatte, waren Vorwürfe gewesen! Berechtigte Vorwürfe vielleicht, die sie sich jetzt, weniger vernünftig, selbst vorwarf.
Armer Aldwin! Er hatte nie zu würdigen gewußt, was er besaß, und immer seinen Verlust gefürchtet wie ein Geizhals den Verlust seines Goldes. In seiner Angst, er könnte vor die Tür gesetzt werden, hatte er Elave etwas Schlimmes angetan.
Aber von hinten erdolcht und in den Fluß geworfen zu werden, das hatte er nicht verdient. Und sie hatte ihn irgendwie auf dem Gewissen, trotz ihrer Angst um Elave, den er in diese Lage gebracht hatte. Ausgerechnet an diesem Morgen füllte er Fortunatas Denken aus und führte sie auf einen Weg, den sie nur ungern ging. Aber wenn dem Unzulänglichen, Verdrossenen und Betrübten die Gerechtigkeit verweigert wird – wem sonst sollte sie widerfahren?
So früh sie aufgestanden war, ein anderer schien noch früher auf den Beinen gewesen zu sein. Die Werkstatt würde an diesem Tag geschlossen bleiben, düster bei vorgelegten Läden; deshalb gab es eigentlich keinen Grund für Jevan, so früh aufzustehen, aber er war bereits fort, als Fortunata in die Diele hinunterkam.
»Er wollte zu seinem Schuppen«, sagte Margaret, als Fortunata nach ihm fragte. »Er hat ein paar frische Häute, die er zum Einweichen in den Fluß legen muß. Aber er wollte rechtzeitig zum Begräbnis des armen Aldwin wieder hier sein.
Wolltest du etwas von ihm?«
»Nichts, das nicht warten könnte«, sagte Fortunata. »Ich habe ihn nur vermißt, das ist alles.«
Sie war froh, daß der Haushalt vollauf beschäftigt war mit den Vorbereitungen für einen weiteren Leichenschmaus, so bald nach dem ersten, dem Abend, der Onkel Williams Gedächtnis gewidmet gewesen war und an dem diese ganze Serie unglücklicher Ereignisse begonnen hatte. Margaret und das Dienstmädchen waren in der Küche beschäftigt, Girard war sofort nach dem Frühstück auf den Hof hinausgeeilt, um Aldwins würdige Überführung in die Kirche zu veranlassen, die er zu Lebzeiten vernachlässigt hatte. Fortunata begab sich in Jevans Werkstatt und machte sich ohne mehr Licht als das, das durch die Ritzen der Läden einfiel, daran, leise und schnell den Raum zu durchsuchen, die Regale mit ihren noch nicht zugeschnittenen Häuten, die
Weitere Kostenlose Bücher