Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
keinen Moment daran, dass der Fluch, der auf ihm lastete, das Unheil heraufbeschworen hatte. Er ganz allein hatte es sich z u zuschreiben, dass sein Bruder gestorben war, dass der Zug vom Unheil verfolgt wu r de, obwohl die Krieger tapfer gekämpft hatten und die Römer wieder einmal geschlagen worden waren. Er musste allem ein Ende machen. Nur wenn er sich stel l te, wenn er Odin geopfert werden wü r de, gab es eine Aussicht auf Rettung.
Agnar schauderte beim Gedanken an se inen Tod. Er hatte immer mit dem Gedanken gelebt, in der Schlacht zu sterben. Ein Schwertstreich, ein Pfeil oder eine ge g nerische Lanze hätte ihn auf direktem Weg an Odins Tafel bringen können. Doch der Tod im Moor war etwas ganz a n deres. Vor den Augen der Krieger am Strick zu zappeln, um Luft zu ri n gen. Agnar hatte es selbst oft genug gesehen, die Augen, die aus den Hö h len traten, das Gesicht, das blau anlief. Im Todeskampf ließen die Verurteilten Urin und Kot. Und danach? Alles, was jemals ihm g e hört hatte, würde vernichtet werden. Zerbr o chen, verbogen und ins Moor gewo r fen. Nichts würde noch daran erinnern, dass jemals ein Mensch namens Agnar gelebt hatte. Niemand würde jemals wieder seinen Namen aussprechen. Nur die Mütter der Verurteilten beteten heimlich für ihre toten Söhne. Aber wer würde für ihn beten?
Agnars weiße Haut war fahl geworden, tiefe Ringe l a gen unter seinen Augen. Der Schwertgurt fand wenig Halt an den Hüften, unbewusst rückte Agnar mit der linken Hand daran herum. Er sah aus wie ein Schwe r kranker, den man von seinem Lager g e scheucht hatte. Jeder andere wäre entsetzt gewesen von dem Bild, das der junge Priester bot, doch B o jord war aufgekratzt und so von seiner Idee bege i stert, dass er dem Auss e hen seines Sohnes keine Aufmerksa m keit schenkte.
„Agnar, mein Sohn, ich habe dich kommen lassen, weil Odin diesmal mich mit einer Eing e bung b e schenkt hat.“
Er saß auf einem breiten Sessel, schwenkte in der Li n ken einen Kelch und dachte nicht daran, seinem Sohn einen Platz anzubieten.
„Als wir vor fünfzehn Jahren aufbrachen, waren wir zu fünft in unserer Familie. Jetzt sind nur noch wir beide übrig, um das Volk der Kimbern zu leiten und zu schützen. Du wirst dich nicht daran eri n nern, welch ein Aufruhr damals durch die Reihen ging, als Fjörm de i nen Namen aus dem Orakel g e lesen hatte. Nie zuvor war der Name des Urvaters vergeben worden, und alle rätselten über das Omen. Heute kenne ich die Bede u tung.“
Bojord machte eine Pause und trank einen Schluck Wein aus dem schweren Pokal. Agnar schien ihm nicht zuzuhören, aber Bojord fuhr unbeirrt fort:
„So wie jener erste Agnar König und Diener Odins zugleich war, so sollst du nicht nur der o berste Priester, sondern auch der Fürst der Kimbern sein.“
Stolz blickte er seinem Sohn ins Gesicht und wart e te auf den Ausdruck überschwänglicher Freude und Dankbarkeit, die jenen wohl in Kürze übe r mannen würde. Doch Agnar schwankte, und man sah ihm an, dass er nur mühsam seine Fassung b e wahren konnte. Er hatte nie eine besondere Wärme für seinen Vater verspürt, doch jetzt fühlte er, wie er anfing, seinen V a ter zu hassen. Mit gepresster Stimme stieß er hervor:
„Du irrst dich, Vater. Mein Name bedeutet, dass mit mir sich der Kreis schließt. Jener war der erste unseres Geschlechts, ich werde der Letzte sein. Wenn unser Stamm überleben soll, dann müssen wir uns von der Herrschaft verabschieden.“
Bojord ließ den Kelch sinken und sah seinen Sohn ve r blüfft an.
„Von der Herrschaft verabschieden...?“
Nach einer ungläubigen Pause begann Bojord zu l a chen, doch Agnar unterbrach ihn mit einer kna p pen Handbewegung.
„Auch ich dachte, dass es eine Fortsetzung für uns gibt, dass das Unheil gebannt ist, doch Gunthros Tod hat mich eines besseren belehrt. Die Fäulnis, die uns b e droht, frisst sich weiter. Du wirst mich den Priesteri n nen übergeben, die mich Odin zum Opfer bringen werden.“
Bojord war nun doch aufgestanden und baute sich vor seinem Sohn auf.
„Was in Odins Namen redest du da? Bist du beso f fen?“
„Nein, ich bin nüchtern, und ich hoffe, du bist es auch, denn du hast ein Recht zu erfahren, was sich in deiner Familie abgespielt hat.“
Agnar machte eine Pause und atmete tief durch. Seine Stimme wurde leiser.
„Dein Bruder Wid hat unsere Familie zerstört. Er wurde Zeit seines Lebens vom Neid auf dich ze r fre s sen. Er war nie ein Druide, sondern immer nur der
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