Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
keinen Fall verlieren durfte, und seine Hände klammerten sich krampfhaft um die Griffe der let z ten Symbole seiner Ehre als Krieger. Er verlor das Bewusstsein und stür z te, doch seine Hände kon n ten ihren Griff nicht lösen und hielten Schwert, Schild und Zügel mit einer Kraft, die von seinem Willen unabhängig geworden war.
Fassungslos verfolgten die Kimbern den Fall ihres z u künftigen Fürsten. Wer es nicht selbst gesehen hatte, der erfuhr es durch die Schreie der Käm p fenden, die in der vordersten Front Zeugen gewo r den waren. Beinahe hätte die Verwirrung, die dem Ereignis folgte, den A n gre i fern die Möglichkeit gegeben, eine Bresche zu schlagen, doch schon im nächsten Moment schlossen die Kimbern sich umso fester vor der Schildburg ihres Königs zusammen, während andere umso heftiger die römische Reit e rei attackierten.
Bojord hatte den fingierten Rückzug aus dem Schutz seiner Leibwache heraus befehligt. Als er sah, wie Agnar zurück blieb, brüllte er wütende Befehle, die seinen Sohn zum Anschluss an die Re i terei bringen sollten, doch Agnar schien ihn nicht zu hören. Was dann geschah, ließ Bojord erstarren. Das Kampfg e tümmel versank für ihn, die Gerä u sche entfernten sich. Ein w ü tender Aufschrei kam nicht mehr über seine Lippen und die Erkenntnis überfiel ihn: Sein Sohn b e ging vor seinen Augen Selbstmord. In dem Moment, als Agnar von der Lanze getroffen wurde, wusste B o jord, dass er ihn dazu getrieben hatte. Und als er sah, wie sein Sohn vom Pferd stürzte und am Steigbügel mitgeschleift wurde, geschah das für Bojord Unfassb a re. Ein Gefühl tiefer väterlicher Liebe übermannte ihn. Jetzt, im Augenblick des Verlustes, lernte er seinen Sohn zu lieben mit einer schmerzlichen Intensität, die ihm das Herz zerriss. Seine Liebe zu dem ve r storbenen Gunthro verblasste, seine Liebe zur Macht und zur glanzvollen Tradition seines Sta m mes zerstob, und sein eigenes Leben war ihm nichts mehr wert. Übrig blieb das brennende Verlangen, seinen Sohn zu retten, um ihn noch einmal in die Arme zu nehmen. Das Bild des einsamen kleinen Jungen, der vor vielen Jahren in se i ner Halle g e standen hatte tauchte aus seiner Erinn e rung auf und Bojord wusste, dass er versagt hatte. Eine u n sägliche Wut stieg in ihm auf. Er gab seinem Ross die Sporen und schlug mit dem Schwert nach se i nen eigenen Lebwachen. Völlig überrascht wichen die Kri e ger zur Seite. Mit einem Aufschrei spor n te Bojord sein Pferd an und stürzte sich auf einen Re i ter, den er für den Mörder seins Sohnes hielt.
Die römischen Kavalleristen glaubten zu träumen, als sie den König seine Deckung aufgeben sahen. Einigen gelang es, sich aus den Zweikämpfen zu befreien und sich auf Bojord zu stü r zen. Die Lei b wachen setzten sofort nach, doch ein Schwer t streich hatte den König am Kopf verwundet. Im Getümmel verloren seine W a chen für einen kurzen Moment den Kontakt zu ihm. Die Römer riegelten ihn von den übrigen ab und hi e ben mit ihren Kur z schwertern auf ihn ein, bis Bojord vom Pferd glitt und von den Hufen in den Staub getr e ten wurde.
Atemloses Entsetzen ließ die Leibwache und die u m stehenden Kämpfer in der Bewegung e r starren. Der Ruf „der König ist tot!“ breitete sich in rase n der G e schwindigkeit in die Reihen der Kämpfenden aus und erreichte den Tross mit den Frauen, den Alten und den Kindern. Alle wussten, dass das E n de nun da war. Das Herrscherhaus war vernichtet, es gab keinen Stamm der Kimbern mehr. Als sie aufgebrochen waren, vor zwa n zig Jahren, hatten sie einen Schwur geleistet: Alle, die den König auf der Suche nach neuem Land begleiteten, waren als seine Leibwache angetreten, um ihn und die Seinen mit dem eigenen Leben zu schützen. Sie hatten Aussicht auf Land und Besitz gehabt, auf Ansehen und Ehre. All das war nun vernichtet, jede Hof f nung ze r stoben. Doch eines war ihnen geblieben: der ehrenvolle Tod des Kriegers. Der Platz an Odins Tafel, der jedem zustand, der mit seinem Fürsten auf dem Schlachtfeld blieb. Wer jetzt nicht handelte, sah einem Leben in Schande entgegen, nach seinem Tod erwartete ihn die ewige Finsternis der Unterwelt.
Alle Familien, die mit Bojord aufgebrochen waren, hatten von Beginn ihres Zuges an mit dem Geda n ken an ein Scheitern gelebt. Sie hatten ihre En t scheidung vor langer Zeit getroffen, an einem gra u en Morgen nach dem vernichtenden Sturm. Auf einem vom Schlamm verdreckten Thingplatz, viele, viele Tagere i sen und
Weitere Kostenlose Bücher