Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
fröhlichen Grüppchen schwe b te ein völlig entrückter Lucius. Für die Dauer der Auffü h rung hatte er alles um sich vergessen, die Schule, die Mitschüler, die Schwindeleien, die er seinem Vater nun schon seit Jahren auftischte, und er beschloss, auch die zwe i te Aufführung zu bes u chen.
Als er vor Beginn der zweiten Aufführung auf se i nem Platz saß, überfiel ihn eine leichte Panik: Was, wenn das Stück überhaupt nicht so gut wäre, wenn es einer zwe i ten Aufführung nicht standhalten wü r de? Ob es nicht besser wäre, es beim ersten Ei n druck zu belassen und nach Hause zu gehen, bevor er sich die wundervolle Erinnerung zerstörte? N a türlich blieb er doch und b e reute es nicht. Die Au f führung war beim zweiten Mal fast noch besser. Die Erinnerung daran vergoldete ihm die ganze nächste Woche.
„Lucius!“, hauchte Thais. Zitternd schmiegte sie sich an ihn, während er Ventus mit einem scharfen Ruck am Zügel zum Aufbäumen brachte und im gestreckten Galopp davon stob, die aufgebrachte Menschenmenge zurücklassend, die die zarte junge Frau bedroht hatte. Weit hinter den Toren Roms im Schatten eines alten Olivenbaums beendete er ihren halsbrecher i schen Ritt in die Sicherheit, glitt vom schweißnassen Rücken se i nes edlen Rosses und half der verängstigten Hetäre herab. Obwohl sie festen Boden unter sich hatte und ihre Verfolger me i le n weit abgeschlagen waren, konnte die junge Frau sich nicht auf den Beinen halten. Lucius musste sie stützen, und ihre tränenfeuchten Augen sahen ihn flehend an.
„Weine nicht, meine Geliebte. Alles wird sich zum G u ten wenden!“, beruhigte er sie. „Siehe, unter diesem uralten Baum haben meine Vorfahren einen Schatz versteckt, um unserer Fam i lie in Not zu he l fen. Diese Münzen werden dir die Freiheit bri n gen.“
Ihre dunklen Augen weiteten sich ungläubig, dann dankbar und ihre feuchten Lippen fanden seinen Mund. Er schlang die Arme um sie und presste i h ren schlanken Körper an sich...
Ein schwerer Stock krachte auf sein Pult. „Sulla! Ich werde meine Frage nicht noch einmal wiederh o len, welche geografische Besonderheit half den Truppen Alexanders bei Issos?“
Lucius konnte sich der Erkenntnis nicht mehr ve r schließen, dass er sich verliebt hatte. Dieses Eing e s tändnis stürzte ihn in tiefe Verzweiflung. Es war noch nicht mal so schlimm, dass er nicht genau zu sagen gewusst hätte, ob er sich in den Gegenstand seiner Li e be als ein weibl i ches oder männliches W e sen verliebt hatte. Auch störte ihn nur am Rande, dass seine Gelie b te – oder Geliebter ? - zu einer gesellschaftlich zutiefst verachteten Klasse gehörte, die vom allerzweifelhafte s ten Ruf war. Das wirklich Schreckliche für ihn war, dass er sich plötzlich in eine Reihe mit seinen dümml i chen, gackernden Schwestern und ihrer hirnlosen A n himmelei gestellt sah. Verzweifelt versuchte er sich gegen die einfall s lose Schwärmerei der Mädchen abz u grenzen und suchte Beweise, dass es sich im Falle se i ner Liebe um etwas ganz anderes handle. In seiner Ve r zwei f lung verfiel er auf einen Plan. Er würde sich G e wissheit verschaffen. Er würde sich dem Gege n stand seiner Liebe annähern, nur und wirklich nur um das Traumbild an der Realität zu messen. Pra k tischerweise hatte er damit auch dem Vorwand vor sich selbst, se i ner – seinem - Geliebten ab sofort aufzulauern.
Sein erster Weg führte ihn in das Theater. Der Pför t ner, der nahe einem Eingang in einer N i sche hockte, war von einem Schwarm junger Mädchen umgeben. Sie lauschten wie gebannt, und als der Alte geendet hatte, entfernten sie sich mit vielen Dankesrufen. Lucius sah schon wieder seine Schwestern vor sich und schämte sich zu Tode. Trotzdem ging auch er zu dem Alten, der ihn mit einem zahnlosen Grinsen bedachte, das Lucius i r gendwie schadenfroh vo r kam. „Kannst du mir s a gen, zu welcher Truppe die Schauspieler von g e stern Abend geh ö ren?“, fragte er möglichst unbete i ligt. Statt einer Antwort hob ihm der Alte die geöf f nete Han d fläche entgegen. Lucius hatte damit g e rechnet und warf ihm eine Münze zu.
„Die Schauspieler gehören zur Truppe des Heli o dorus. In erster Linie verdienen sie ihr Geld mit Auftritten bei den Gastmählern der Reichen. Auch Musikanten und Flötenspielerinnen hat Heliodorus unter Vertrag.“
Das zahnlose Grinsen wurde unangenehm lüstern. „Sie sind nicht billig, aber so ein hübscher Junge wie du bekommt sicher einen
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