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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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wollte Nick den Speer überreichen, den er in der Hand hielt. Der stieß die Waffe jedoch beiseite. »Junge, es wäre Mord, dich ohne irgendwas da rauszuschicken. Jetzt hör mal zu. Wenn du einem Barghest über den Weg läufst, darfst du keine Angst zeigen. Kapiert? Wenn sie merken, dass du Angst hast, stürzen sie sich unter Garantie auf dich.«
    Nick erreichte die Tür und blieb stehen.
    »Pass auf«, fuhr der Junge fort. »Das ist kein Witz. Du wirst das hier brauchen.« Er drückte Nick den Speer in die Hände.
    Nick nahm den Speer und starrte ihn zutiefst beschämt an.
    »Ach ja. Wenn die Fleischfresser dich finden, lass den Speer einfach fallen und lauf.« Er lachte. »Die stecken dir das Ding eh bloß in den Arsch.«
    Nick legte die Hand an den Riegel, schob ihn jedoch nicht beiseite.
    »Warte, ich helf dir.« Die Stimme war tiefer als die des Einhändigen.
    Nick drehte sich um und schaute direkt in die unnachgiebigen Augen des großen Teufelsjungen.
    »Ich heiße Blutrippe. Tut mir leid, dass wir keine Gelegenheit haben, uns besser kennenzulernen.« Er lächelte kalt, schob den Riegel beiseite und zog die dicke, runde Tür nach innen auf. Die Holzscharniere knarrten, als die Tür aufschwang. Sofort fielen Nick die Kratzspuren auf der Außenseite der Tür auf – lange, tiefe Kerben im gesplitterten Holz.
    »Achte nicht weiter drauf«, sagte Blutrippe. »Dort schärfen sich die Barghests bloß gerne die Krallen.«
    Draußen war es grau und modrig. Nick konnte gerade so die Umrisse von ein paar knorrigen Stümpfen und Bäumen ausmachen, der Rest des Walds war hinter einer wallenden Nebelwand verborgen. Von irgendwo weit weg hörte er ein einsames Heulen. Nick erkannte den Laut. Er würde ihn sein ganzes Leben lang nicht vergessen. Es war das gleiche Heulen, das auch diese schattenhaften, geduckten Geschöpfe von sich gegeben hatten, die mit den orangenen Augen, als Peter ihn aus dem Nebel hierhergeführt hatte.
    Nick konnte sich nicht von der Stelle rühren.
    Blutrippe legte ihm eine Hand an den Rücken, schob ihn behutsam vorwärts und schickte sich an, die Tür hinter ihm zu schließen.
    »Warte!«, schrie Nick und klatschte eine Hand an die Tür. Er drehte sich um. Alle starrten ihn an.
    »Ja?«, fragte Blutrippe, und ein spöttisches Grinsen umspielte seine Mundwinkel.
    Nicks Lippen zitterten. Er wollte etwas sagen, doch er war zu wütend und hatte zu viel Angst, dass er zu weinen anfangen würde.
    Blutrippe schaute ihn an. »Möchtest du lieber bleiben und ein paar Freundschaften schließen? Du lebst vielleicht länger, wenn du Freunde hast, die dir den Rücken freihalten.«

 

     
KAPITEL 8
Nathan
     
    Der Kinderdieb beobachtete, wie die Laternen im Park eine nach der anderen brummend zum Leben erwachten. Unter dem beständigen Nieselregen war die Nacht früh hereingebrochen. Die tiefen Schatten der hoch aufragenden Mietshäuser verschmolzen miteinander, und keine Menschenseele war mehr zu sehen. Peter wollte sich nicht eingestehen, dass er erneut einen Tag verloren hatte. Er konnte sich keinen weiteren Tag leisten, nicht, während der Kapitän in Avalon auf der Hatz war. Er ließ eine Gebäudefront hinter sich und drang zur nächsten vor, und zur nächsten.
    Zwei Gestalten fielen ihm auf, die dem Licht der Straßenlaternen auswichen und durch die Schatten huschten. Selbst über den weiten Innenhof hinweg erkannte Peter, dass es sich um Ausreißer handelte. Er konnte sie beinahe riechen. Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht – die Jagd konnte beginnen.
    Der Kinderdieb folgte den beiden ins Treppenhaus eines großen Gebäudes, wo sie unter den Treppensturz schlüpften. Es roch nach Pisse und Kotze, Schimmel und altem Müll. Peter zog sich in die Schatten zurück und gab sich Mühe, nicht durch die Nase zu atmen, während die beiden Jungen sich leise und ängstlich unterhielten.
    Jetzt, im Licht, sah Peter, dass es sich um Brüder handeln musste. Der Ältere war fünfzehn oder sechzehn, der Jüngere höchstens zwölf. Der Teenager hatte eine Schramme auf der Stirn, sein linkes Auge war zugeschwollen, und seine Jeans war an den Knien blutig und aufgerissen. Jemand hatte ihn geschlagen.
    »Was sollen wir machen?«, fragte der Jüngere.
    »Wir sagen’s ihm einfach.«
    »Niemals!«
    »Nathan, was sollen wir sonst machen?«
    »Denkst du, er glaubt uns?«, fragte Nathan. Seine Stimme wurde lauter, und die Angst in seinem Tonfall nahm zu. »Das war sein Stoff. Er wird uns die Schuld geben. Vielleicht denkt

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