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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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sie sich nicht groß von diesem Zeug unterschied.
    Nach und nach ließen die Kinder sich auf den Bänken zu beiden Seiten eines langen Holztischs nieder und fingen an zu essen. Nick tat sich noch immer schwer damit, seinen Augen zu trauen: zottelhaarige Wilde, die mit vollem Mund schlürften, schmatzten, schrien und lachten. Viele von ihnen benutzten anstelle der großen Holzlöffel die Finger. Derweil flogen ununterbrochen die kleinen blauen Leute umher, um sich die heruntergefallenen Beeren und Nüsse zu schnappen.
    Nicks Magen knurrte erneut. Er hätte wirklich gerne eine Schale von dem Zeug gehabt, das die anderen Kinder aßen. Aber sie würden ihm ganz sicher nichts zu essen geben, nicht, nachdem sie ihn so behandelt hatten.
    Ein Mädchen kam zielstrebig zu ihm herüber. Sie hatte die breiten Wangenknochen und das markante Kinn einer amerikanischen Ureinwohnerin, und sie war von kräftiger, sehnigerGestalt. Auf den ersten Blick sah sie etwa so alt aus wie er, aber als sie näher kam, fiel ihm ihre harte Miene auf, und er war sich nicht mehr so sicher – insbesondere ihre Augen sahen nicht wie die eines Kindes aus. Ihre kupferfarbene Haut war schmutzig und von Narben übersät, die zweifelsfrei verrieten, dass sie einiges mitgemacht hatte. Ihr langes schwarzes Haar war zu Zöpfen geflochten, die ihr auf den Rücken hingen. In ihr breites, perlenbesetztes Stirnband waren zwei schwarze Schwingen eingenäht. Die nach unten zeigenden Federn reichten ihr bis auf die Schultern und verliehen ihr etwas Ehrfurchtgebietendes. Sie hatte eine Schüssel und einen Holzlöffel in der Hand.
    Vor Nick blieb sie stehen und sah auf ihn herab. Ihre Augen waren ebenso golden wie die von Peter, doch größer und ausdrucksstärker. Nick senkte den Blick und schaute zu Boden.
    »Ich habe dir was zu essen mitgebracht.« Sie hielt ihm die Schüssel hin.
    Der lockende, nussige Geruch stieg Nick in die Nase, doch er beachtete das Mädchen nicht.
    »Sei nicht kindisch. Iss.« Sie sprach steif und langsam. Offensichtlich war Englisch nicht ihre Muttersprache.
    Nick schwieg.
    Sie gab ihm noch einen Moment und wandte sich dann ab, um zu gehen.
    »Warte.« Nick zwang das Wort über seine Lippen.
    Sie schaute sich mit einem kalten, unnachgiebigen Blick zu ihm um.
    Nick streckte die Hand nach der Schüssel aus.
    Sie starrte ihn weiter an.
    »Bitte«, sagte Nick mit zusammengebissenen Zähnen.
    Daraufhin reichte sie ihm die Schüssel.
    Der Junge rührte in der Grütze. Das Zeug sah wie klumpigerHaferbrei aus. Er nahm einen kleinen Klumpen davon auf den Löffel und nippte vorsichtig daran. Es war süß, mit einer bitteren Note, aber ziemlich lecker.
    Vorsichtig, damit seine aufgeplatzte Lippe nicht noch mehr schmerzte, aß Nick. Die Grütze war warm und fühlte sich beim Schlucken angenehm an. Tatsächlich wärmte sie seinen ganzen Körper.
    Das Mädchen setzte sich ihm gegenüber im Schneidersitz hin. »Du heißt Nick?«
    Er nickte.
    »Ich bin Sekeu.« Einen Moment lang schwiegen sie beide. »Du solltest wissen, dass du deine Sache gut gemacht hast bei dem roten Teufel. Die meisten Kinder haben zu viel Angst, um sich zu wehren. Ich glaube, in deinem Herzen verbirgt sich ein Krieger. Du musst nur noch einiges lernen. Wir fangen heute mit deiner Ausbildung an.«
    Nick hörte auf zu essen. »Mit meiner Ausbildung?«
    »Zu einem Krieger. Zu einem Clanmitglied. Zu einem …
Teufel

    »Wie?«
    »Du musst lernen zu kämpfen. Um dich und deinen Clan zu verteidigen.«
    Sie klang so ruhig und nüchtern, dass Nick einen Moment lang dachte, dass er hier der Verrückte wäre.
    »Clan? Meinst du diesen Haufen Arschlöcher?« Nick zeigte mit dem Daumen auf die anderen Kinder. »Meinst du, ich möchte diesem kleinen Wichserklub hier beitreten?«
    Die Kinder hatten inzwischen Schwerter und Speere von den Wänden genommen und übten die Grundlagen – sie sprangen, stießen, nahmen Fechthaltung ein und derlei mehr –, während einige andere sich zu lockeren Übungskämpfen zusammenfanden. Nick beobachtete, wie sie einander durch den Raum trieben, und gegen seinen Willen war er von ihrer Schnelligkeitund Geschmeidigkeit fasziniert.
Wie schaffen die es bloß, sich so zu bewegen?
    »Peter hat dich hierhergebracht, um dir eine Chance zu geben«, sagte Sekeu ernst. »Damit du ein Clanmitglied werden kannst, ein Feenkind. Hast du überhaupt eine Ahnung, was das bedeutet? Es ist deine Chance auf ewige Jugend, darauf, tausend Jahre lang ungezähmt und frei zu

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