Der Kinderdieb
Stücken?«
»Klar.«
»Gut, dann musst du es auch sagen.«
»Was sagen?«
»Sag: ›Ich komme aus freien Stücken mit.‹«
»Mann, du bist echt ’ne Nummer. Na schön, ich komme aus freien Stücken mit.«
Der Kinderdieb ging voran, und Nathan folgte ihm. Um sie herum waberte der Nebel. Der kreidige Geschmack des geisterhaften Dunsts füllte Peters Mund und erinnerte ihn an gemahlene Knochen und Fischschuppen. Es war nicht immer so gewesen. Er dachte an das erste Mal – vor all den Jahren.
Nachdem er den Wolf getötet hatte, war Peter tiefer und tiefer in den Wald vorgedrungen, fest entschlossen, so weit wie möglich von der Welt der Menschen wegzukommen. Er hatte den abgetragenen Waschbärenpelz weggeworfen und hatte sich stattdessen das dicke silbrige Fell des einohrigen Wolfs umgelegt. Den Wolfskopf hatte er sich wie eine Maske übers Gesicht gezogen. Kalte, durchdringende Augen starrten aus den dunklen Höhlen hervor und suchten den Wald aufmerksam nach Beute- und Raubtieren ab, doch hinter diesen kalten Augen verbarg sich ein sechsjähriger Junge, der allein in einem tiefen, finsteren Wald war.
Er verbrachte seine Tage damit, Wildwechseln und Bächen zu folgen und kleinere Tiere zu erlegen. Er wusste nicht, wohin er unterwegs war, er wusste nur, was er zurückließ. Jeden Abend in der Dämmerung suchte er sich einen hohlen Baumstamm oder eine Felsspalte, um sich darin zusammenzurollen und ein wenig zu schlafen, während die größeren Tiere durch die Nacht streiften.
Am vierten Tag spürte er, dass er beobachtet wurde. Der Wald hatte sich verändert. Die Bäume umgaben ihn dichter, fast als wollten sie ihn in diese oder jene Richtung drängen. Die Rufe ihm unbekannter Vögel, die hohen Schreie im Gebüsch und das Zirpen von Insekten klangen allzu sehr nach Wörtern.
Abgesehen von ein paar Händen voller Nüsse und Wildbeeren hatte Peter seit zwei Tagen nichts gegessen. Er fand Wildspuren und hörte Tiere, sah jedoch nie welche. Er hatte das Gefühl, im Kreis zu laufen, und irgendetwas brachte seinen außergewöhnlichen Orientierungssinn durcheinander. Er versuchte, sich Golls Stimme in Erinnerung zu rufen, die ihm sagte, dass er stark und tapfer sein sollte, aber als er an dem Menhir vorbeikam, an ebenjenem, den er bereits vor mehreren Stunden passiert hatte, brach er erschöpft zusammen. Er lehnte sich gegen den hoch aufragenden Stein, zog die Beine an die Brust und kämpfte mit den Tränen.
Gelächter ließ ihn aufspringen. Ein Mädchen, nicht viel älter als er selbst, blickte von einer kleinen Anhöhe auf ihn herab. Sie hatte langes weißes Haar und trug ein kurzes weißes Kleid aus so leichtem Stoff, dass es ihren Körper beinahe zu umschweben schien. Sie warf ihm ein schelmisches Lächeln zu und flitzte davon.
Peter stand wie erstarrt da. Er war sich nicht sicher, was er tun sollte, doch dann hörte er sie erneut lachen. Es war etwas Verstörendes an diesem Lachen, etwas, das ihm das Gefühl gab, dass es eine schlechte Idee wäre, ihr zu folgen. Doch seineNeugier setzte sich durch, und er rannte ihr, so schnell er konnte, hinterher.
Als er den Kamm der Anhöhe erreichte, war sie nirgends zu sehen. Er hörte ein Kichern. Dort, am anderen Ende des Pfads, bei einem abgebröckelten Felsvorsprung, hielten zwei Mädchen in weißen Kleidern sich bei den Händen. Sie sahen aus wie Zwillinge. Die eine flüsterte der anderen etwas ins Ohr. Sie drehten sich zu ihm um und begannen dann erneut zu kichern. Als er in ihre Richtung eilte, verschwanden sie hinter dem Felsvorsprung.
Während Peter ihnen hinterherrannte, fiel ihm auf, dass die Bäume und das Unterholz dichter wurden. Schon bald befand er sich in einem Labyrinth von Büschen, Gestrüpp, Schlingpflanzen und Ranken. Er fragte sich, wie er jemals zum Wildwechsel zurückfinden sollte. Er umrundete den Vorsprung und erhaschte einen Blick auf weiße Kleider weit unten an der Uferböschung.
Er holte die Mädchen auf einer großen Lichtung ein. Nun waren es drei, die einander in jeder Beziehung glichen. Sie standen vor einem Kreis aus schiefen Steinen und hatten die Köpfe zusammengesteckt. Die Menhire sahen sehr viel älter aus als der sie umgebende Fels. Keine Flechten und kein Moos wuchsen auf ihnen. Dafür waren sie mit allerlei seltsamen Zeichen bedeckt, und zwischen ihnen lagen
Knochen
, alle möglichen Arten von Knochen.
Die Mädchen musterten ihn aus schrägstehenden silbrigen Augen. Peter sah die Spitzen ihrer Ohren aus ihrem Haar
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