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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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genauer hin. Tatsächlich war ihre Haut tiefgrün, von der smaragdenen Farbe immergrüner Blätter. Auch ihr Haar war grün und noch ein wenig dunkler, beinahe schwarz. Es wallte unter einer enganliegendenKappe hervor, die über ihrer Stirn einen spitzen Winkel bildete. Das lockige, verschlungene Haar fiel ihr bis fast zu den Knien herab und lag wie eine Kapuze um ihren Kopf, sodass ihr Gesicht bis auf die großen grünen Augen im Schatten lag. Ihre dünne, hauchfeine Robe klebte ihr wie Spinnenseide am Körper, hing in Fäden von ihr herab und bedeckte kaum ihre vollen Brüste und das dunkle Dreieck zwischen ihren Beinen. An den Hand- und Fußgelenken trug sie Bronzeringe und dazu ein Halsband aus Knochen und Krallen.
    Sie lächelte Peter an, kam gemächlich auf ihn zu und legte ihm einen Arm um die Schultern. Ihr Atem war heiß und roch nach Honig, und als er einatmete, überkam ihn ein einlullendes Gefühl der Wärme.
    »Willst du nicht reinkommen?« Sie zeigte auf ein rundes Loch, das unter einem dichten Überhang aus Gras und verfilztem Moos in die Uferböschung gegraben war. Ein Kreis von großen, zerfressenen Steinen umgab den Eingang, und in jeden davon war das Gesicht eines grimmig dreinschauenden Tiers gehauen. Um die Öffnung herum hingen Dutzende getrocknete, rot angemalte Flaschenkürbisse mit Löchern, durch die jeweils ein kleiner Vogel gepasst hätte. Kleine schwarze Gestalten mit Fledermausflügeln und langen Skorpionsschwänzen hockten in den Löchern oder flitzten hinein und heraus.
    Es sah nicht nach einem Ort aus, den Peter aufsuchen wollte. Er schüttelte den Kopf.
    »Ich habe frische Lebkuchen. Alle kleinen Jungs mögen Lebkuchen. Nicht wahr?«
    Die drei Mädchen nickten. »Aber ja doch, Mutter.«
    Die Frau hielt ihm ihre vollen, feuchten Lippen ans Ohr und flüsterte ihm etwas zu. Die Worte klangen wie Kauderwelsch für Peter, eine seltsame Mischung aus knappen, durchdringenden Lauten, aber zugleich regte sich plötzlich ein Duft wie von frisch gebackenem Brot und Honig. Peters Magen knurrte, undihm lief das Wasser im Mund zusammen. Er leckte sich die Lippen. Er hatte wirklich Lust auf Lebkuchen – was auch immer das war.
    »Komm mit«, murmelte sie und duckte sich, um in das Loch hinabzusteigen.
    Peter hatte nicht den Eindruck, dass es besonders klug wäre, ihr in das Loch zu folgen. Wahrscheinlich war es nicht besonders klug, ihr irgendwohin zu folgen, doch sein Verstand arbeitete seltsam zäh und langsam, und als die drei Mädchen ihn bei den Händen nahmen und vorwärtszogen, ging er ihnen nach.
    Er bückte sich, um sich nicht den Kopf an den Wurzeln und Leuchtpilzen zu stoßen, während er trunken durch den langgezogenen Bau taumelte. Der Tunnel öffnete sich zu einer kleinen Höhle aus schwarzem Fels und knotigen Wurzeln. Bernsteine glühten unter einem Stoß Zweige in einer großen, irdenen Feuerstelle und tauchten die Höhle in weiches Karamelllicht.
    Peters Fuß verfing sich in einer Tierhaut, und er fiel mit ausgestreckten Armen und Beinen auf einen Haufen weicher Felle.
    Knochen, Federn, Holzperlen, Trockenblumen und verschiedene Tierschädel hingen an langen Schnüren aufgefädelt von der Decke. Fette schwarze Kröten, große, ölig glänzende Käfer und bunte Vögel hingen mit den Köpfen nach unten an Haken und starrten ihn aus toten, glasigen Augen an. Schriftrollen und Tontöpfe waren auf niedrigen Tischen verteilt.
    Zwischen den Spalten und Vorsprüngen in und an den Höhlenwänden erhaschte Peter Bewegungen. Er meinte, Dinge durch die Schatten kriechen zu sehen. Dann entdeckte er eine Tonschüssel mit kleinen Küchlein, die alle anderen Gedanken aus seinem Kopf vertrieb.
    Mit der Schüssel in der Hand kroch die Frau über die Felle und setzte sich neben ihn. Sie legte ihm ein nacktes Bein über die Knie und hielt ihm ein Küchlein an die Lippen. Peter biss ab.
    Der Kuchen war süß und warm, aber innen drin seltsam breiig. Er aß ihn trotzdem, und dann gleich noch einen. Er wollte mehr, doch er hatte Schwierigkeiten mit dem Kauen und damit, sich aufrecht zu halten. Der Raum um ihn herum verschwamm und waberte wie eine sich kräuselnde Seeoberfläche. In einem Moment sah er Dutzende hell flackernder Kerzen über sich, nur um zu blinzeln und stattdessen Augen in ihnen zu erkennen, Hunderte von schlitzförmigen gelben Augen.
    Die Frau setzte sich rittlings auf ihn, beugte sich vor und ließ ihr Haar über sein Gesicht fallen. Sie legte ihm eine warme Hand auf den Bauch, ließ

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