Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
neuer Becher Horlicks gefüllt, halb und halb diesmal, weil sonst die Milch ausgegangen wäre, bevor der Milchmann wieder vorbeikam. Den Fernseher schalteten sie aus, und als Stephen ›Manuel and His Music from the Mountains‹ auflegte, zitterte seine Hand so stark, dass die Nadel zweimal über die Platte kratzte.
»Stephen, jetzt machst du mir auch noch mein Geburtstagsgeschenk kaputt.«
So kam es, dass sie, als Resnick läutete, in verbissenem Schweigen im Wohnzimmer saßen, während zwischen ihnen der Fleck auf dem Teppich immer dunkler wurde.
»Wer kann das um diese Zeit noch sein?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Stephen!«
»Was?«
»Was tun wir?«
»Nichts.«
Wieder wurde geläutet, länger diesmal, danach laut geklopft.
»Wir können doch nicht einfach hier sitzen bleiben und nichts tun.«
»Wieso nicht? Es ist bald elf, Herrgott noch mal. Niemand kann uns zwingen, nachts um elf jedem Idioten die Tür aufzumachen. Wir könnten ja auch schon im Bett sein.«
»Sind wir aber nicht. Und das kann man draußen auch deutlich sehen.«
Die Briefkastenklappe schepperte nachdrücklich.
»Stephen …«
»Ja, gut, ich geh ja schon. Bleib du hier.« Und er schloss die Tür hinter sich.
Resnick und Naylor hatten die Dienstausweise gezückt, sie waren im Licht der Außenlampe deutlich zu erkennen. »Inspector Resnick, CID . Das ist Constable Naylor. Mr Shepperd?«
Stephen brummte ein Ja und nickte.
»Mr Stephen Shepperd?«
»Ihnen ist doch wohl klar, wie spät es ist?«
»Wir würden Sie gern einen Augenblick sprechen.«
»Meine Frau und ich wollten gerade ins Bett.«
»Wir gehen vielleicht besser hinein.«
Stephen rührte sich nicht von der Stelle. »Worum geht es überhaupt?«
»Sie haben nicht zufällig heute Abend im Fernsehen die Nachrichten angeschaut?«, fragte Resnick.
»Doch. Teilweise jedenfalls. Warum? Was ist denn passiert? Ist etwas passiert?«
»Ich glaube wirklich, es wäre einfacher, wenn wir unsere Fragen drinnen stellen könnten, Mr Shepperd.«
»Was ist denn los da draußen, Stephen?« Seine Frau stand an der offenen Wohnzimmertür. »Was gibt’s?«
»Wir haben nur ein paar Fragen an Ihren Mann«, antwortete Resnick.
»Ich kenne Sie doch.« Joan Shepperd sah nicht Resnick an, sondern Naylor, der neben ihm stand.
»Von heute Nachmittag«, sagte Naylor.
»Ja.« Sie näherte sich der Haustür. »In der Schule. Stephen, du weißt doch, er war bei uns in der Schule und hat nach Emily gefragt. Jetzt geht es aber nicht um Emily, oder?«
»Wenn wir einen Moment hereinkommen könnten«, sagte Resnick.
»Aber ja, natürlich. Warum bittest du die Herren denn nicht herein, Stephen? Wenn wir noch länger hier bei offener Tür herumstehen, holen wir uns alle den Tod.«
Resnick und Naylor traten ein, und Stephen Shepperd schloss die Tür hinter ihnen.
»Handelt es sich um Emily?«, wandte sich Joan Shepperd an Naylor.
»Ja.«
»Dachte ich mir’s doch. Stephen, geh doch schon mal und setz Wasser auf. Wir gehen inzwischen ins Wohnzimmer.«
»Eigentlich wollten wir Ihren Mann sprechen«, warf Resnick ein.
»Stephen? Wieso denn das?«
»Lass nur, Joan«, sagte Stephen. »Wir gehen ins Wohnzimmer zum Reden. Du kannst ja inzwischen Tee machen oder was auch immer.«
»Ich werde nichts dergleichen tun.«
Stephen sah seine Frau einen Moment lang fest an, bevor er an ihr vorbei zum Wohnzimmer ging, die Tür öffnete und den beiden Polizisten den Vortritt ließ. Er und seine Frau nahmen ihre gewohnten Plätze ein, sodass Resnick und Naylor nur das Zweisitzersofa blieb, auf dem sie etwas unglücklich nebeneinandersaßen.
»Am vergangenen Sonntagnachmittag«, begann Resnick, »an dem Tag, an dem Emily Morrison verschwunden ist, wurde in der Nähe des Hauses ihrer Eltern ein Jogger gesehen.«
»Stephen …«
»Sei still«, sagte Stephen.
»Natürlich versuchen wir, alle Personen ausfindig zu machen, die zum Zeitpunkt von Emilys Verschwinden dort in der Gegend waren …«
»Ste…«
»Ich hab gesagt, du sollst still sein.«
»Nicht weil sie das automatisch verdächtig macht, sondern damit wir feststellen können, ob sie für unsere Ermittlungen überhaupt relevant sind. Und weil ihnen sehr wohl etwas aufgefallen sein kann, was wichtig ist.«
Joan beobachtete ihren Mann, der mit halb geöffnetem Mund dasaß und nichts sagte.
»Sie verstehen doch?«, fragte Resnick.
Stephen nickte schnell. »Ja, ich verstehe.«
»Sie sind nicht dieser Mann?«
»Der, von dem Sie gesprochen haben,
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