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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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nicht, ob er vor Gl ü ck schreien sollte oder ob gerade ein neuer Albtraum begann. Seit dem letzten Mal im Hahnenmoor in der N ä he von Braunschweig vor dreieinhalb Jahren hatte er sich nie wieder etwas zu Schulden kommen lassen. Den kleinen Daniel hatte er ü ber die Osterfeiertage zwei Tage in einem Bauwagen gefangen gehalten, bevor er ihn t ö tete. Niemand war ihm auf die Spur gekommen, es blieb ein unaufgekl ä rter Fall. Er hatte sofort danach alle Kontakte abgebrochen, war nach Berlin gezogen und hatte ein v ö llig neues Leben angefangen. reden Tag arbeitete er an sich und litt wie ein Schwein. Er f ü hlte sich wie ein Alkoholiker, der rund um die Uhr vor der Whiskyflasche sitzt und darum k ä mpft, der Versuchung zu widerstehen. Er hatte sich von Schulen, Kinderg ä rten und Spielpl ä tzen fern gehalten, hatte sich im Sommer in seiner Wohnung eingeschlossen, wenn die halbe Welt die Tage und Abende im Park verbrachte und die Kinder auf der Wiese tobten, w ä hrend die Eltern die W ü rste grillten. Er hatte die Badeseen gemieden und die Freib ä der, er war fast wahnsinnig geworden dabei.
    Aber er war verdammt stolz auf sich. Als der Herbst kam und die Tage k ü hl wurden, war es leichter. Die Kinder spielten nicht mehr auf der Stra ß e, die Parks leerten sich. Er war fest entschlossen, so lange durchzuhalten, bis der Drang vorbei war. Jede Sucht konnte man mit Willenskraft besiegen. Jede. Und er trainierte unaufh ö rlich. Mal verzichtete er wochenlang auf Bier. Dann auf seinen geliebten Morgenkaffee. Dann zwang er sich eine Zeit lang, Brot ohne Butter zu essen, was ihm sehr schwer fiel. Nachmittags ü berkam ihn h ä ufig der Hei ß hunger auf etwas S üß es. Meist genehmigte er sich dann einen M ü sliriegel oder ein St ü ck Kuchen oder eine halbe Tafel Schokolade. Auch das unterlie ß er eine Weile. Jede Gewohnheit versuchte er zu durchbrechen, indem er auf Liebgewordenes verzichtete.
    Als er merkte, dass er sich angew ö hnt hatte, jeden Nachmittag eine Stunde zu schlafen, zwang er sich daraufhin, wach zu bleiben. Jede Regelm äß igkeit musste bek ä mpft werden. Und er schaffte es. Er war ein willensstarker Mensch. Und das bewunderte er an sich. Sein Selbstbewusstsein war stabil, solange er nicht schwach und r ü ckf ä llig wurde.
    Und jetzt lief dieser fremde kleine Junge neben ihm her. Ganz zuf ä llig, ganz freiwillig. Er musste ihn nicht locken, nicht ü berreden und nicht bet ä uben, er
    war einfach da und kam einfach mit. Alfred brach der Schwei ß aus. Er war auf dem Weg in die Laubenkolonie. Die Lauben standen im Winter leer. Dort war jetzt kein Mensch.
    Seine Beine bewegten sich fast automatisch. Er konnte nichts dagegen tun.
    Sie liefen jetzt langsamer. Es gab ja auch keinen Grund mehr, so zu rennen, die Skins waren l ä ngst weg. Benjamin sah den Mann neben sich verstohlen an. Er war bestimmt etwas ä lter als Papa und auch st ä rker. Und etwas d ü nner. Durch die monotone und bewegungsarme Arbeit am Band war sein Vater beh ä big geworden und hatte einen Bauch angesetzt.
    Seine Augen sind so komisch, dachte Benjamin, er guckt so starr geradeaus. Dabei gibt es hier doch gar nichts Besonderes zu sehen. Aber er guckt, als m ü sste er gleich etwas ganz Kompliziertes machen, ein Flugzeug landen vielleicht, und es ist neblig, und er hat Angst.
    Der Mann war irre nett, davon war Benjamin ü berzeugt. Obwohl er es ein bisschen gruslig fand, dass er eine Pistole dabeihatte. Aber eine Sekunde sp ä ter dachte er, dass das auch wieder toll war. Wie in Amerika. Wie im Wilden Westen. Keiner konnte einem was tun. Man konnte sich jederzeit verteidigen. Oder einen anderen retten. So wie er ihn gerettet hatte.
    » Warum bist du nicht in der Schule? « , fragte Alfred v ö llig unvermittelt.
    » Nur so. « Benjamin sch ä mte sich pl ö tzlich.
    » Wie? Nur so? Schw ä nzt du? «
    Benjamin nickte stumm.
    » Warum? Dr ü ckst du dich vor einer Arbeit? «
    Benjamin sch ü ttelte den Kopf und sah zu Boden. » Nee. Ich hab Deutsch und Mathe verhauen. «
    » Nun gut. Du hast zwei Arbeiten verhauen. Aber das ist ja schon passiert. Warum bist du dann heute nicht in der Schule? «
    » Ich hab die Unterschriften von meinen Eltern nicht. «
    » Alles kein Problem. Mach dir keine Sorgen, das kriegen wir hin. «
    Benjamin schwieg. Er hatte zwar keine Vorstellung, wie das gehen sollte, aber er wollte nicht zu viele Fragen stellen.
    Alfred und Benjamin erreichten die Teupitzer Br ü cke. Benjamin blieb

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