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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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hatte das Mädchen zu den Mordfällen befragen wollen! Jetzt ergab Sanos Lüge von der Pilgerfahrt einen Sinn; diese Lüge war ideal dazu geeignet gewesen, den wahren Zweck seiner Reise zu verschleiern.
    Was für eine unerhörte Gehorsamsverweigerung! Nicht einmal der Mord an Tsunehiko hatte Sano aufgehalten. Und wie demütigend für Ogyū, auf diese Weise davon zu erfahren. Warum hatten seine Spitzel es nicht herausgefunden und ihn informiert? Wofür bezahlte er diese Kerle eigentlich?
    »Ich wußte noch gar nicht, daß Eure Stieftochter Nonne geworden ist«, sagte Ogyū und nahm die Schüssel vom Boden. »Verzeiht mir. Mir war nicht bekannt, daß sie in Hakone ist. Vergebt mir meine Tölpelhaftigkeit.«
    Irgendwie schaffte es Ogyū, den verschütteten Teeschaum aufzuwischen. Unter Fürstin Nius ausdruckslosem Blick bereitete er eine neue Schüssel Tee. Die Fürstin war wütend, zeigte es aber nicht. Eine neuerliche Woge der Übelkeit durchflutete Ogyūs Magen. Diese Frau würde ihn vernichten! Ogyū klammerte sich an den falschen Schein der Normalität, den die Teezeremonie ihm vermittelte, und reichte seiner Besucherin ihre Schale.
    Die Fürstin drehte sie in den Händen und betrachtete sie, dem Ritual entsprechend. »Was für eine wunderschöne Schale«, sagte sie und strich mit der Fingerspitze über die rauhe Glasur. »Wenn ich trinke, werde ich an den Töpfer denken, der sie gefertigt hat, und an all die bedeutenden Menschen, die vor mir aus dieser Schale getrunken haben.«
    Als er diese bedeutungslosen, beiläufigen Worte hörte, entspannte Ogyū sich vor Erleichterung. Offenbar hatte die Fürstin alles gesagt, was sie ihm hatte sagen wollen. Sie gab sich damit zufrieden, ihm ihr Mißfallen ausgesprochen zu haben, und sie würde ihm keinen Schaden zufügen!
    »Ihr seid zu freundlich, edle Herrin«, sagte Ogyū dankbar.
    Befreit von Angst und Ungewißheit, begann er nun sogar, die Teezeremonie zu genießen. Fürstin Niu trank und lobte den Wohlgeschmack des Tees. Sie wischte die Schale ab, wo ihre Lippen sie berührt hatten, und reichte sie Ogyū zurück, wobei sie ein Gedicht vortrug, das sie selbst verfaßt hatte. Ogyū trank und übertrumpfte die Fürstin mit einem ebenfalls selbstgeschriebenen Gedicht. Er gab den Teesatz in die Aufgußschale, und sie wiederholten die Trinkzeremonie; dann noch einmal. Ogyūs schwindelerregende Erleichterung trug ihn zu neuen Höhen der Beredsamkeit. Nie zuvor war er bei einem Gespräch so geistreich gewesen; nie zuvor hatte er eine Teezeremonie mit solcher Eleganz vollzogen. Und Fürstin Niu war der perfekte Gast: wunderschön, gebildet und von untadeligem Auftreten. Sie war Ogyū beinahe sympathisch.
    Als er sie zum Tor geleitete, sprudelte er hervor: »Ich danke Euch, edle Herrin, daß Ihr meine armselige Hütte mit soviel Schönheit und Klugheit erfüllt habt. Es wäre mir eine große Ehre, Euch recht bald wieder als mein Gast begrüßen zu dürfen. Wie kann ich mich Eurer Zusage versichern? Nennt mir jeden Wunsch, der Euch am Herzen liegt.«
    »Die Ehre und das Vergnügen waren ganz auf meiner Seite«, erwiderte Fürstin Niu und neigte leicht den Kopf zur Seite. »Ja, einen Wunsch könntet Ihr mir erfüllen. Gestattet Ihr, daß ich frei heraus spreche?«
    Ogyūs Magen verkrampfte sich vor Angst. »Natürlich«, sagte er, zog unwillkürlich die Schultern hoch und versuchte zu lächeln. Wieder stieg Übelkeit in ihm auf, als ihm klar wurde, daß die Fürstin ihm erst jetzt den wahren Grund für ihr Kommen nennen würde. Sie hatte es nur aufgeschoben, um die Teezeremonie nicht zu entweihen. Was für ein Dummkopf er in ihren Augen gewesen sein mußte, sich so überschäumend und schwatzhaft zu geben, im falschen Gefühl der Sicherheit!
    Fürstin Nius Blick wurde kalt und hart. Die falsche Fassade der Liebenswürdigkeit fiel von ihr ab, als sie mit eisiger Stimme sagte: »Sano Ichirōs Nachforschungen haben das Interesse der metsuke erregt.« Das Wort »metsuke« spie sie wie einen Tropfen Gift aus.
    »Die Spione des Shōgun?« stieß Ogyū fassungslos hervor. Das fehlte ihm jetzt auch noch, daß diese Männer sich für die Arbeit in seinem Amt interessierten! Wer konnte auch nur ahnen, was dabei ans Tageslicht kam? »Seid Ihr sicher?«
    »Ich weiß es aus einer verläßlichen Quelle«, erwiderte Fürstin Niu. »Es kommt hinzu, daß die metsuke die Theorie in Erwägung ziehen, daß meine Stieftochter Yukiko und dieser Noriyoshi ermordet wurden – wie auch Euer yoriki

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