Der Kirschbluetenmord
offensichtlich glaubt.«
»Dann war es Mord«, flüsterte Ogyū und verschränkte die Hände, um deren Zittern zu unterbinden. Wenn der Shōgun zu der Ansicht gelangte, er, Ogyū, habe versucht, ein so schweres Verbrechen zu vertuschen … nicht auszudenken! Bestenfalls würde es ihm einen strengen Verweis einbringen; schlimmstenfalls die Degradierung. Jetzt wünschte sich Ogyū, er hätte auf Sano gehört. Aber er war der festen Überzeugung gewesen, daß es tatsächlich ein shinjū gewesen war. Wer konnte ihm da zum Vorwurf machen, daß er sich einverstanden erklärt hatte, den Nius die Unannehmlichkeiten einer genaueren Untersuchung zu ersparen? Niemand wußte von dem Druckmittel, das Fürstin Niu gegen ihn einsetzen konnte.
Die Fürstin schüttelte ungeduldig den Kopf. »Macht Euch nicht lächerlich«, sagte sie. »Es war Selbstmord. Die metsuke, diese abscheulichen Intriganten, lassen sich von dem Gedanken verlocken, dem Hause der Nius einen Skandal anzuhaften. Ihr wißt ja, welche Möglichkeiten ein solcher Skandal gewissen Leuten bieten würde. Stellt Euch vor, was für ein Vermögen in die Taschen der Tokugawas fließen würde, sollten sie meinem Gemahl sein Lehnsgebiet fortnehmen!« Ihre Stimme klirrte vor Zorn. »Wie dem auch sei – die metsuke werden bald eigene Nachforschungen aufnehmen. Das müssen wir verhindern.«
»Verhindern«, wiederholte Ogyū dümmlich. Er war erstaunt, daß eine Frau davon ausging, es mit den Männern des Shōgun aufnehmen zu können. »Aber wie?«
Fürstin Niu lachte trocken und humorlos auf. »Das müßt Ihr entscheiden, Magistrat Ogyū -san «, erwiderte sie und betonte dabei seinen Titel.
»Ich? Warum ich? Und wie?« Bei dem bloßen Gedanken an eine solche Verschwörung drehte Ogyū sich wieder der Magen um. Als er sich vorstellte, wie seine Karriere zerstört wurde, wie er ins Exil verbannt oder gar mit dem Tode bestraft wurde, wurde ihm dermaßen übel, daß er befürchtete, sich vor den Augen der Fürstin zu übergeben und den letzten Rest von Würde zu verlieren.
»Das ›Warum‹ dürfte ja wohl auf der Hand liegen.« Die Fürstin öffnete das Tor. »Und das ›Wie‹ müßt Ihr selbst entscheiden.« Sie trat durch das Tor. Ein Hausmädchen kam herbei, um ihr in die wartende Sänfte zu helfen. Über die Schulter sagte die Fürstin: »Denkt an den Ölhändler, und ich bin sicher, Euch wird schon etwas einfallen.« Dann war sie verschwunden.
Ogyū schloß das Tor und lehnte sich dagegen, die Augen geschlossen, während ihn Wogen des Entsetzens durchfluteten und die Übelkeit ihn zu überwältigen drohte. Mehrmals atmete er tief durch und versuchte, die Beherrschung über Körper und Geist wieder zu erlangen. Denk daran, wer du bist, sagte er sich. Du hast zuvor schon triumphiert, und so wird es auch diesmal wieder sein. Er dachte an seinen Rivalen um das Amt des obersten Pagen vor ungezählten Jahren. Ogyū hatte dem Jungen einen Diebstahl angehängt und sich auf diese Weise den Posten erobert. Und im Laufe seiner Amtszeit als Magistrat hatte er immer wieder Versuche abwehren können, ihn seines Postens zu entheben. Er hatte seine Beziehungen und seinen Einfluß geltend gemacht, um Gegner auf Posten in der Provinz abschieben zu lassen, fern von Edo. Nun versuchte Ogyū zu leugnen, daß Fürstin Niu eine weitaus größere Bedrohung darstellte als alle, die er in seinem Leben abgewehrt hatte.
Allmählich strömte die Kraft in seinen Körper zurück. Ogyū schlug die Augen auf und ging mit schwankenden Schritten zur Tür. Er fragte sich, weshalb die Fürstin so sehr darauf bedacht war, daß er die Nachforschungen über den Tod Yukikos und Noriyoshis verhinderte, und warum sie so drastische Maßnahmen ergreifen wollte, falls er ihrer Forderung nicht nachkam. Doch die Sorge um sich selbst war stärker als die Neugier. Er mußte sofort handeln, um eine Katastrophe abzuwenden.
Wundersamerweise hatte Ogyū jetzt, nach dem Treffen, weniger Angst als zuvor. Doch nun, da er die Bedrohung, ihr Ausmaß und ihre Gestalt kannte, erschien es ihm zunehmend leichter, damit fertig zu werden. Er lächelte sogar, als er seine Villa betrat. Er war schließlich kein Dummkopf, sondern ein gerissener und mächtiger Magistrat. Er wußte stets, wann ein Problem durch einen verwegenen, kühnen Schlag statt durch vorsichtiges Taktieren gelöst werden mußte. Dieses instinktive Wissen gehörte ebenfalls zu den Gaben, die ihm den Aufstieg in sein hohes Amt ermöglicht hatten. Jedenfalls würde
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