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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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schmetterte er mit einem Schlag gegen den Kiefer zu Boden. Er rannte über die gestürzten Gegner hinweg, tretend und stampfend. Doch die Männer der dōshin waren in der Überzahl. Keulenschläge hagelten auf Raikō nieder. Dennoch kämpfte er weiter. Besessen vom Dämon, spürte er keinen Schmerz, und es kümmerte ihn nicht, ob er lebte oder starb.
    Dann wich der Dämon so plötzlich von ihm, wie er über ihn gekommen war. Angst und Panik kehrten wieder. »Nein!« brüllte Raikō. »Hört auf!«
    Er riß die Hände in die Höhe, um sein Gesicht zu schützen, doch es war zu spät.
    Schmerz durchzuckte seine Wangen, seinen Mund. Er schmeckte Blut und spuckte einen Zahn aus. Die Keulen fuhren auf seine Arme nieder, schmetterten gegen seine Rippen, den Rücken.
    Raikō ging zu Boden. Jetzt schluchzte er vor Entsetzen. Von den Körpern der Angreifer an den Erdboden gepreßt, konnte er sich kaum mehr bewegen. Er wimmerte und keuchte wie ein verwundetes Tier. Die Schreie der Menge gellten ihm in den Ohren. Jemand fesselte ihm die Handgelenke. Das Seil schnitt ihm ins Fleisch. Hände zerrten ihn in die Höhe. Die vier Holzgitter schlossen sich wie ein Käfig ohne Boden um ihn zusammen.
    »Geh«, rief ein Mann und stieß ihm den Griff einer jitte in den Rücken.
    Immer noch wimmernd vor Schmerz und Entsetzen, taumelte Raikō voran. Er hielt den Kopf gesenkt, so sehr schämte er sich. Er wußte, was er sehen würde, falls er die Augen hob.
    Nun begann eine Parade, wie Raikō sie schon des öfteren beobachtet hatte. Die stolzen, berittenen yoriki führten den Zug an, die dōshin marschierten hinter ihnen, und am Schluß folgten die Helfer mit dem gefesselten Gefangenen, der in dem behelfsmäßigen Käfig gehen mußte. Raikō hatte sich stets zu den Gaffern gesellt, wenn ein solches Spektakel stattgefunden hatte; er hatte gejohlt und mit Steinen nach dem Gefangenen geworfen. Jetzt war er selbst das Opfer von Hohn, Spott und Demütigungen. Diesmal waren die Wurfgeschosse auf ihn gezielt.
    »Ihr macht einen Fehler«, rief er, als ein Stein ihn an der Stirn traf. Er kauerte sich in dem Gitterkäfig zusammen, doch weitere Steine flogen zwischen den Holzstäben hindurch und trafen ihn an Kopf und Rücken.
    »Ich bin kein Mörder!« brüllte Raikō aus Leibeskräften. Er mußte dafür sorgen, daß jeder ihm zuhörte, daß jeder ihm glaubte, bevor der Zug das Gefängnis erreichte! Dann war es zu spät. »Bitte, laßt mich erklären!«
    Er warf seinen Peinigern flehende Blicke zu. Doch aller Mut verließ ihn, als er den wütenden Mob sah. Die hämischen Gesichter. Die neugierigen, mitleidlosen Blicke. Die Arme, die in die Höhe fuhren und weitere Steine nach ihm schleuderten. Die Mäuler der Menge, die nach seinem Blut riefen.
    »Bitte …«
    Erneut wurde Raikō die jitte in den Rücken gerammt. »Halt das Maul, und beweg dich!«
    Nach und nach verblaßten für Raikō alle Eindrücke. Er nahm die Menge und seine Peiniger kaum noch wahr. Selbst seine Furcht schwand. Die schlichte Handlung des Gehens erforderte seine ganze Konzentration und all seine Energie.
    Schließlich kam die Parade zum Stehen. Raikō erkannte, daß er sich vor dem Tor des Gefängnisses von Edo befand, ohne daß er sich erinnern konnte, welchen Weg der Zug genommen hatte. Plötzliches, wiedererwachtes Entsetzen riß ihn aus seinem Dämmerzustand.
    »Bitte, nein … bringt mich nicht dort hinein, ich will nicht weitergehen, bitte, nein …«, stammelte er, während seine Häscher den Gitterkäfig auseinandernahmen. Wie jeder Bewohner Edos wußte auch Raikō, was sich im Innern des Gefängnisses abspielte. War er erst einmal dort drinnen, war jeder Versuch sinnlos, die Behörden von seiner Unschuld zu überzeugen.
    Niemand sagte auch nur ein Wort zu ihm. Sie zerrten und stießen ihn einen übelriechenden Gang hinunter. Raikō hörte, wie seine eigenen Schreie sich mit dem Geheul der anderen Gefangenen vermischte – Laute, die nichts Menschliches mehr an sich hatten. Jemand öffnete eine Tür. Ein brutaler Stoß, und Raikō taumelte in einen schummrig erleuchteten Raum. Mit dem Gesicht voran, stürzte er in einer Ecke zu Boden. Grobe Hände packten seine Knöchel und fesselten sie. Dann wurde die Tür zugeschmettert.
    Raikō wälzte sich auf die Seite. Er war allein in einer winzigen Zelle mit hohen, vergitterten Fenstern. Verzweifelt wand er sich am Boden, zerrte an den Fesseln.
    »Laßt mich raus!« brüllte er.
    Keine Antwort. Nach einer Weile erlahmten Raikōs

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