Der Kirschbluetenmord
Fürstin Niu ihr gefährliches Wissen gegen ihn einsetzte?
Vor der Hütte erklangen Stimmen und rissen Ogyū aus seinen Gedanken. Die Fürstin war eingetroffen; der Diener geleitete sie durch den Garten. Ogyūs Mund war trocken vor Angst, als er sich erhob, um seine Besucherin zu begrüßen. Noch einmal sagte er sich zur Beruhigung, daß die Fürstin nur gekommen sei, um irgendeine Angelegenheit durchzusprechen und über die erforderlichen Maßnahmen zu diskutieren, wie sie es in ihrem Brief geschrieben hatte. Er brauchte sich bestimmt keine Sorgen zu machen!
Doch als Ogyū die Besucherin auf der Bank sitzen sah, stieg erneut Furcht in ihm auf. Fürstin Niu war für eine Teezeremonie tadellos korrekt gekleidet – was darauf schließen ließ, daß ihr dieses Treffen äußerst wichtig war. Demnach muß es um sehr bedeutsame Dinge gehen.
Unter einem modischen, schulterfreien schwarzen Gewand trug die Fürstin einen schwarzen Seidenkimono, der mit den Symbolen des Winters gemustert war: Pflaumenblüten, Kiefernzweigen und Bambus. Die schöne, hoheitsvolle Frau erhob sich, als sie Ogyū sah.
Der Magistrat begrüßte sie auf respektvolle Weise und kämpfte seine Angst und Unruhe nieder, als er sich verbeugte. »Willkommen in meinem bescheidenen Heim, erhabene Fürstin. Daß Ihr meine Einladung zum Tee angenommen habt, ist eine große Ehre für mich.«
Auch Fürstin Niu verbeugte sich. Wenngleich sie als Gattin eines Daimyō einen höheren Rang besaß als Ogyū, war er ein Mann – und ein Magistrat – und noch dazu um gut zwanzig Jahre älter als sie. In den gegenseitigen Verbeugungen spiegelte sich die gegenseitige Achtung; keiner der beiden verbeugte sich tiefer als der andere. Sie begannen ihre Auseinandersetzung als Gleichgestellte – ein Gedanke, der Ogyū beruhigte und mit neuer Zuversicht erfüllte.
»Im Gegenteil, Ogyū -san. Es ist mir eine Ehre, daß Ihr mir Eure Gastfreundschaft gewährt.« Fürstin Nius Begrüßung entsprach ebenfalls den üblichen Höflichkeitsgeboten. »Eine Teezeremonie ist wie ein Hafen, der uns Zuflucht vor weltlichen Sorgen bietet. Aber Häfen können nur vorübergehend bestehen oder sogar Illusion sein. Habe ich recht?« Ein Lächeln spielte auf ihren Lippen. Die modisch geschwärzten Zähne, die ihre Schönheit erhöhen sollten, verliehen ihrem Mund das Aussehen einer Quelle des Todes.
»Äh … ja. Voll und ganz.«
Ihre Bemerkung ging Ogyū nicht aus dem Kopf, als er die Fürstin vor dem hüfthohen Eingang der Hütte zurückließ und nach hinten zur Tür der Dienerschaft ging. Fürstin Nius Worte sollten eine Warnung sein, daß der trügerische Friede einer heftigen Auseinandersetzung weichen würde; soviel stand für Ogyū jetzt schon fest. Mit wachsender Beklommenheit ging er durch die Küche und kniete auf seinem Platz neben dem Herd nieder.
Er hörte das Plätschern des Wassers, als Fürstin Niu sich am Becken vor dem Eingang die Hände wusch und sich den Mund ausspülte, und das Rascheln von Seide, als sie sich die Sandalen auszog. Dann wurde die hüfthohe Tür aufgeschoben, und die Fürstin kam auf den Knien herein. Doch die demütige Haltung tat ihrem Stolz und ihrer Würde keinen Abbruch, wie Ogyū gehofft hatte. Ebensowenig trug ihre nächste Bemerkung dazu bei, Ogyūs Nervosität abzubauen.
»›Berge und Ebenen werden vom Schnee erobert, und nichts bleibt‹«, las sie laut die Inschrift auf der Tuschezeichnung, die in der Nische an der Wand hing. Noch immer der Zeichnung zugewandt, verbeugte sie sich; dann nahm sie den Ehrenplatz vor der Nische ein. »Ach, solche Dichtkunst beruhigt mich immer wieder. Sie verleiht mir Ruhe und Gelassenheit und gibt mir das Gefühl, als bräuchte ich mich nicht zu sputen, wieder am geschäftigen Treiben des Alltags teilzunehmen.« Sie zupfte ihren Kimono zurecht, breitete auf dem Boden den Umhang um sich aus und machte es sich bequem, als hätte sie die Absicht, längere Zeit zu verweilen.
Der Zweck der Teezeremonie – eine Tradition des Zen-Buddhismus – war die rituelle Reinigung von Körper und Geist, in einer Umgebung, die das Einssein des Menschen mit der Natur hervorhob. Doch Ogyū hatte ein anderes Ziel im Sinn gehabt, als er Fürstin Niu zu sich eingeladen hatte: Er hatte gehofft, daß die strengen Beschränkungen, die diese Zeremonie auferlegte, brisante Situationen entschärfen könnten und daß die kultivierte Fürstin im Heiligtum eines Teezeremonienhäuschens keine unerfreulichen Dinge zur Sprache brachte. Jetzt
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