Der Kirschbluetenmord
aber erkannte Ogyū, daß sie durchaus dazu fähig war, die Zeremonie für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Sie hatte sich bereits einen Vorteil verschafft, indem sie Ogyū zu verstehen gegeben hatte, daß sein Plan gescheitert war, die Teezeremonie für seine Zwecke zu nutzen. Nun saß der Magistrat in einer Falle, die er selbst aufgestellt hatte. Er konnte Fürstin Niu nicht mehr so rasch loswerden, ohne die Zeremonie zu überstürzen und den Eindruck eines unhöflichen Gastgebers zu hinterlassen.
Ogyūs Hände zitterten, als er die Teeschüssel mit einem Tuch auswischte. Er murmelte: »Eine sehr scharfsinnige Beobachtung, ehrenwerte Fürstin.« Doch innerlich flehte er: Gnädiger Buddha, laß irgend etwas geschehen, daß dieses Possenspiel ein Ende hat!
Normalerweise hätte Ogyū sich Zeit dabei gelassen, die Schüssel und Schalen zu reinigen und sich an ihrer Form und Beschaffenheit zu erfreuen; diesmal aber wischte er sie hastig aus, ohne sich seines Tuns so recht bewußt zu sein. Möge ein Erdbeben das Dach einstürzen lassen, dachte er.
Das Dach stürzte nicht ein. Statt dessen sagte Fürstin Niu: »Das Gedicht erinnert mich an eine Szene aus einem Schauspiel, in dem Edos bester onnagata die Hauptrolle gespielt hat.« Sie hielt inne, um ihre Worte einwirken zu lassen. »Wenn ich mich recht entsinne, hat der Schauspieler einen Vers über Blitz und Donner zitiert. Ihr wißt, welches Stück ich meine, nicht wahr? Wenn nicht – einer Eurer Untergebenen kennt es vermutlich.«
»Onnagata« : Kikunojō, der Kabuki-Schauspieler. »Blitz und Donner«: Raikō, der Ringer. »Einer Eurer Untergebenen«: Sano Ichirō. Ogyū wurden die Knie weich, als er die versteckten Andeutungen der Fürstin erkannte. Mit mechanischen Bewegungen gab er Teepulver in die Schüssel. Die Fürstin gab ihm zu verstehen, daß sie von Sanos geheimen, verbotenen Nachforschungen über den shinjū erfahren hatte, und mehr noch: Sie wußte, mit wem Sano gesprochen hatte.
»Ja. Das heißt … nein.« Ogyū schöpfte aus dem Eisengefäß über der Feuerstelle und goß heißes Wasser auf den Tee. Wie, bei allen Göttern, fragte er sich, sind die Spitzel der Fürstin an diese Informationen gelangt? Seine einzige Hoffnung bestand jetzt darin, Fürstin Niu zu besänftigen – und zwar schnell. »Bitte, nehmt meine aufrichtigste Entschuldigung an, daß …«
Er hielt inne. Entschuldigung wofür? Die Fürstin hatte doch gar keine Beschuldigung gegen ihn ausgesprochen! Es wäre ein dummer Fehler gewesen, jetzt den Satz zu vollenden und einzugestehen: … daß es mir nicht gelungen ist, Sano aufzuhalten, wie Ihr mich gebeten habt. Eine solche Bemerkung durfte er nicht machen, wenn er Fürstin Niu gegenüber den Vorwand aufrecht erhalten wollte, daß ihr Treffen eine ganz normale Teezeremonie war. Ein so ungeschickter und vulgärer Verstoß gegen die Konventionen würde ihn den letzten Vorteil kosten, den er vielleicht noch besaß.
»Ich möchte mich dafür entschuldigen, daß ich als Gastgeber eine so jämmerliche Vorstellung gebe«, beendete Ogyū den Satz in der Hoffnung, daß die Fürstin ihn richtig verstand.
Doch Fürstin Niu nahm seine Entschuldigung gar nicht zur Kenntnis. Sie beobachtete, wie das heiße Wasser aus der Bambuskelle in die Schüssel strömte. »Gutes Wasser ist unverzichtbar, wenn man guten Tee kochen möchte«, sagte sie. »Bezieht Ihr Euer Wasser aus den Quellen von Hakone?«
»Nein … nein, vom Berg Hiei«, stammelte Ogyū.
Ob es Zufall gewesen war, daß die Fürstin Sanos Reiseziel genannt hatte? Ogyū nahm den Bambusbesen und schlug Tee und Wasser zu einem grünen Schaum. Er spürte, wie ihm vor Nervosität der Schweiß ausbrach, daß ihm die Kleidung am Körper klebte. Jetzt wünschte er sich, das Feuer nicht gemacht zu haben.
»Meine Stieftochter Midori ist vor kurzem ins Nonnenkloster des Kannon-Tempels eingetreten«, fuhr die Fürstin fort. Dann schüttelte sie den Kopf und runzelte die Stirn. »Verzeiht. Natürlich wißt Ihr das längst – und mindestens einer Eurer Mitarbeiter.« Sie hielt kurz inne. »Warum sonst hätte besagter Mitarbeiter eine so lange Reise unternehmen sollen, trotz der Tragödie, die sich in Totsuka abgespielt hat?«
Die Schüssel und der Rührbesen fielen Ogyū aus den Fingern, als er die Bedeutung dieser Bemerkung begriff. Schaumiger grüner Tee klatschte zu Boden. Stöhnend wischte Ogyū ihn mit seinem Tuch auf. Midori befand sich im Tempel der Kannon? Deshalb war Sano dorthin gereist! Er
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