Der Kirschbluetenmord
nunmehr dreißig Jahren die Stadt – mit stählerner Faust, die er unter dem Deckmantel eleganter Nonchalance verbarg. Niemals hatte ihm auch nur der Hauch eines Skandals angehaftet; Ogyū hatte es stets verstanden, die kleinen Bestechungssummen, die er als Nebeneinkünfte und Sondervergünstigungen seines Amtes betrachtete, im geheimen zu kassieren.
Bis vor einiger Zeit, als ein Augenblick der Unachtsamkeit und Gier ihn Fürstin Niu in die Hände gespielt hatte.
Vor zwei Jahren hatte der Shōgun sein »erstes Gesetz zum Schutz der Hunde« erlassen. Bald darauf waren die ersten Übeltäter in Ogyūs Gerichtssaal vorgeführt worden. Bei den meisten Angeklagten handelte es sich um arme Bauern, deren Urteile Ogyū verkündete, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen. Dann aber, eines Tages, war ein gut gekleideter junger Mann bei ihm erschienen.
»Magistrat Ogyū, ich bin der Sohn des Ölhändlers Kuheiji«, sagte der Mann, als er in Ogyūs Amtsstube niederkniete, und verbeugte sich. »Mein Vater ist im Gefängnis, weil er einen Hund getötet hat. Morgen sollt Ihr seinen Fall verhandeln und das Urteil fällen. Ich bin bereit, Euch für die Freilassung meines Vaters eine große Summe zu bezahlen.«
Ogyū betrachtete den Sohn des Händlers und sah die Zeichen der Furcht, die selbst das geschäftsmäßige Auftreten des jungen Mannes nicht verbergen konnte: die raschen, fahrigen Bewegungen, gefolgt von unnatürlicher Ruhe und Regungslosigkeit. »Und wie kommt Ihr darauf, daß ich bereit wäre, ein solches Angebot anzunehmen?« fragte er.
Ogyū hatte schon oft Bestechungsgelder angenommen, doch ausschließlich bei kleineren Vergehen und auch nur, wenn die Schuld des Angeklagten zweifelhaft war. Doch der Shōgun höchstpersönlich hatte Ogyū mitgeteilt, daß Verstöße gegen das »Gesetz zum Schutz der Hunde« mit harten Strafen geahndet werden müßten, und zwar ohne Ausnahme. Verstieß Ogyū gegen diesen Befehl, lief er Gefahr, nicht nur sein Amt, sondern auch sein Leben zu verlieren.
»Ich wollte Euch nicht beleidigen, ehrenwerter Magistrat.« Der Sohn des Händlers zitterte jetzt sichtlich. »Doch als pflichtbewußter Sohn bitte ich Euch, meinem Vater das Leben und die Freiheit zu gewähren. Hier – ich gebe Euch dreihundert koban dafür. Und ich schwöre bei meinem Leben, daß ich niemandem davon erzählen werde.«
Ogyū hatte bereits die Hand gehoben, um den jungen Mann aus dem Zimmer zu winken. Dann aber verharrte er mitten in der Bewegung, als er auf die Goldmünzen starrte, die der junge Mann aus einer Tasche auf den Fußboden geschüttet hatte. Von diesem vielen Geld konnte Ogyū sich eine Sommervilla in den Bergen bauen lassen. Doch wehe ihm, falls der Shōgun jemals von diesem Handel erfuhr! Dann aber fragte er sich, wie seine Hoheit je davon erfahren sollte. Und das verlockende Funkeln der Münzen bewegte Ogyū dazu, sich weitere Gründe zu überlegen, das Bestechungsgeld anzunehmen. Er dachte gründlich nach: Der Hund war tot; den Händler zu bestrafen machte das Tier nicht wieder lebendig. Und eine kleine Rechtsbeugung durch ihn, den Magistraten, würden Tokugawa Tsunayoshis Chancen, einen Erben zu zeugen, nicht gefährden.
»Also gut«, sagte Ogyū und sammelte die Münzen ein.
Er hatte den Händler freigesprochen, sich die Villa bauen lassen und die Sache fast schon vergessen. Dann aber, im letzten Frühjahr, hatte Ogyū Fürst Niu einen Besuch abgestattet. Als er gehen wollte, trat die Fürstin ihm auf dem Flur in den Weg.
Nachdem die beiden Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatten, sagte Fürstin Niu plötzlich: »Gutes Öl kann viel zum Wohlgeschmack einer Mahlzeit beitragen. Ich glaube, sogar die Hunde, die vom Shōgun beschützt werden, würden mir da zustimmen. Ihr wärt gewiß bereit, dreihundert koban für das beste Öl zu bezahlen, das ein Händler anzubieten hat, nicht wahr?«
Für jeden anderen hätte diese Bemerkung sich närrisch angehört. Doch Ogyū erkannte voller Entsetzen, daß Fürstin Niu auf das Bestechungsgeld anspielte, das er vom Sohn des Ölhändlers kassiert hatte. Seitdem lebte Ogyū in ständiger Furcht – einer Furcht, die es ihm nun versagte, in den Erinnerungen an seine Erfolge zu schwelgen. Er konnte nicht an seinen spektakulären Aufstieg zur Macht denken, ohne die Angst zu verspüren, den Gipfel eines Berges erreicht zu haben, nur um nun schwankend dazustehen und in ständiger Gefahr zu schweben, in die Tiefe zu stürzen. War heute der Tag gekommen, daß
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