Der Kirschbluetenmord
die hinter dem Teehaus vorüberführte, und kam gerade noch rechtzeitig, um Kirschenesser aus der Hintertür kommen und davoneilen zu sehen.
Auf dem Fischmarkt, der sich am Ufer des Kanals neben der Nihonbashi-Brücke befand, hätte Sano Kirschenesser beinahe ein weiteres Mal aus den Augen verloren. Der shunga- Händlerstürmte plötzlich in das riesige Gebäude hinein und bahnte sich einen Weg durch die dichten, lärmenden Menschenmassen, welche die schmalen Durchgänge zwischen den Reihen der Verkaufsstände verstopften. Sano schlängelte sich zwischen Fässern voller Makrelen und Thunfische hindurch und sprang über Körbe voller Muscheln und anderen Schalentieren hinweg. Der Gestank nach fauligem Fisch stieg ihm in die Nase. Eine Gruppe Kunden, die um den Preis für drei riesige Haie feilschten, welche von einer dicken, waagerechten Stange hingen, versperrte Sano den Weg. Als er sich zwischen den Leuten hindurchgedrängt hatte, entdeckte er Kirschenesser ein gutes Stück voraus. Der shunga- Händlerbeugte sich über einen Verkaufsstand, der mit Seegras beladen war, und redete mit dem Eigentümer.
Als Sano näherkam, hörte er Kirschenesser rufen: »Ich brauche mein Geld aber jetzt! Gib es mir!«
»Aber ich habe es nicht«, protestierte der Mann.
Kirschenesser stieß einen Seufzer aus, aus dem tiefste Verzweiflung sprach. Dann drehte er sich um, rannte weiter und flitzte durch einen der bogenförmigen Ausgänge hinaus in den Sonnenschein. Sano rannte ihm hinterher. Seine Sandalen schlitterten über den von Fischblut und Innereien glitschigen Boden, so daß er einige Male beinahe gestürzt wäre. Warum, fragte er sich, braucht Kirschenesser das Geld so dringend, wo er Fürst Niu doch gerade erst ein Vermögen abgepreßt hat? Für einen Augenblick dachte Sano daran, den Seegrashändler zu befragen, doch er durfte Kirschenesser nicht aus den Augen verlieren.
Draußen vor der Markthalle angelangt, hielt Kirschenesser geradewegs auf den Kanal zu, wo Fischer ihre Boote ans Ufer gezogen hatten und ihren Fang an Ort und Stelle versteigerten. Sano blieb dem shunga- Händlerauf den Fersen, während er sich durch die Menge der rufenden Bieter schlängelte. Kirschenesser warf einen raschen Blick auf jedes Boot, an dem er vorüberrannte. Plötzlich blieb er stehen. Wie das plötzliche Erschlaffen seines angespannten Körpers erkennen ließ, hatte er das Boot gefunden, das er suchte. Als er auf mehrere Fischer einredete, konnte Sano, der näherkam, einige Satzfetzen aufschnappen:
»Habt ihr doch gesehen … das Boot sollte warten, so war es abgemacht …«
Als er nur ein Kopfschütteln zur Antwort bekam, wandte Kirschenesser sich wieder in Richtung Fischmarkt. Doch statt die Halle zu betreten, ging er diesmal über eine Gasse, an der sich Gasthöfe und Teehäuser befanden. Kirschenesser betrat eine Gaststube, die sich in einem schmuddeligen Gebäude befand, dessen einst weiß verputzte Wände eine schmutziggraue Farbe angenommen hatten.
Zwanzig Schritt vom Eingang entfernt, blieb Sano unschlüssig stehen. FRISCHFISCH-SUSHI! stand auf einem Schild. Zu beiden Seiten des Gasthofes befanden sich Teehäuser, die sich allmählich mit Fischern und Arbeitern füllten. Als Kirschenesser nicht sofort wieder auf der Straße erschien, fragte sich Sano, ob er an der Hintertür nach ihm suchen oder in einem der Teehäuser warten sollte. Traf Kirschenesser sich hier mit Fürst Niu, oder versuchte er nur ein weiteres Mal, mögliche Verfolger abzuschütteln? Sano ging das Risiko ein, langsam an dem Gebäude vorüberzuschlendern und dabei einen Blick ins Innere zu werfen.
Ein brusthoher Schanktisch erstreckte sich von einer Seite des langen, schmalen Zimmers zur anderen und endete dicht vor der hinteren Wand; der Zwischenraum wurde von einem Vorhang ausgefüllt, hinter dem sich die Küche befand. Der Wirt stand hinter dem Schanktisch; der Mann trug ein blaues Stirnband über den buschigen Augenbrauen und war damit beschäftigt, rohen Fisch in Streifen zu schneiden, die er dann mit mariniertem Reis und Algenblatt umhüllte, um diese Röllchen anschließend mit bemerkenswerter Schnelligkeit und großem Geschick seinen derzeit sieben Kunden zu servieren, darunter auch Kirschenesser, der am hinteren Ende des Schanktisches stand und den Rücken der Eingangstür zugekehrt hatte. Ohne seinen gefüllten Teller zu beachten, redete er in drängendem Tonfall auf einen Mann ein, der neben ihm stand.
In der Schankstube herrschte schummriges Licht,
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