Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
gefaßt, aber er konnte entkommen.«
    Zuerst erstarrte Sano. Dann packte ihn das instinktive Verlangen zu fliehen. Nur die zwingende Notwendigkeit, nähere Einzelheiten zu erfahren, ließen ihn an Ort und Stelle verharren.
    »Ein Spitzel!« stieß ein Angehöriger des Hosokawa-Klans hervor.
    Die anderen brachen in lautes Klagen und Lamentieren aus. »Oh, nein! Sind wir entdeckt worden? Wer hat uns verraten? Was sollen wir jetzt tun?« Die jungen Männer waren dermaßen aufgeregt und verängstigt, daß Sano sich fragte, woher sie den Mut nehmen wollten, ihren Plan auszuführen, wie immer er auch aussehen mochte.
    Fürst Niu trat an den Rand des Podests. Er war der einzige der Anwesenden, der keine Furcht zeigte. »Dummköpfe!« rief er und lachte höhnisch. »Warum vergeudet ihr die Zeit mit Reden? Warum ängstigt ihr euch? Geht hinaus und tötet den Mann! Dann besteht kein Grund zur Sorge mehr.«
    »Er hat recht! Los, kommt!« Die Schwerter gezückt, eilten die Männer mit stampfenden Schritten aus dem Zimmer.
    »Und sucht nicht nur im westlichen Waldstück! Sucht das ganze Grundstück ab«, rief Fürst Niu ihnen nach. Er verharrte auf seinem Podest, die Arme vor der Brust verschränkt, das Gesicht finster und unbewegt.
    Sano wartete gar nicht erst ab, bis die blutdurstige Meute aus dem shinden hervorgeströmt war. Er warf sich herum, flüchtete in den Wald und stürmte geradewegs auf die Mauer zu, kletterte sie empor und sprang in die Finsternis und die Sicherheit auf der anderen Seite.

22.
    D
    er Schwertschmied, der wie ein Shintō-Priester in weiße, zeremonielle Umhänge gekleidet war, zog mit seinen Zangen eine Stange rotglühenden Stahl aus dem Schmelzofen draußen vor seiner Schmiede. Sein Helfer packte das andere Ende und bog das noch weiche Metall. Dann schlugen beide Männer mit schweren Hämmern auf die Stange ein, wobei sie laut Gebete sprachen. Es war der erste Schritt beim Fälten des Stahls, das so oft wiederholt wurde, bis das Metall genug Lagen besaß, um der fertigen Klinge sowohl Biegsamkeit als auch Bruchfestigkeit zu verleihen. Jeder Hammerschlag klang hell und scharf durch die klare Morgenluft. Lehrjungen eilten umher, holten Wasser zum Abschrecken des Metalls, das zum Schluß vorgenommen wurde, und heizten den Schmiedeofen mit Kohle.
    Die Hitze strahlte bis auf die Straße, die das Geschäft des Schwertschmieds von mehreren nebeneinander liegenden Gießereien trennte, wo Handwerker Hufeisen und andere schlichtere Gegenstände aus Metall herstellten.
    Sano lehnte sich an den Holzzaun. Abwechselnd beobachtete er die Schwertschmiede und schaute die Straße hinunter. Arbeiter drängten sich an ihm vorbei; sie brachten Rohmaterial und fertige Waren zu den Werkstätten oder holten es von dort ab. Sobald sich eine Frau näherte, straffte Sano sich vor gespannter Erwartung, um sich dann wieder zurückzulehnen, wenn er bemerkt hatte, daß es sich nicht um O-hisa handelte. Doch Sano war sicher, daß sie kam, zumal er vor der verabredeten Zeit erschienen war. Außerdem konnte ein bißchen Warten ihm die gute Laune nicht verderben.
    Fürst Nius Männer hatten ihn gestern abend nicht erwischt. Ein heißes Bad und einige Stunden Schlaf in einem Gasthaus hatten die Erschöpfung und den Schmerz gemildert, die ihm nach dem weiten Fußmarsch zurück nach Edo in den Gliedern gesteckt hatten. Auch der längere Aufenthalt in einem Teehaus am Stadtrand, wo Sano auf den Tagesanbruch und die Öffnung der Stadttore gewartet hatte, hatte ihm gutgetan. Seine Kleidung war über einem Kohlebecken getrocknet; beide Schwerter hingen an seinen Hüften, und er war zuversichtlich, den Herausforderungen des Tages erfolgreich gegenübertreten zu können.
    Das kalte, klare Wetter spiegelte seinen neugewonnenen Optimismus wider. Nur die beständige Sorge um seinen Vater nagte in Sanos Innerem. Hab Geduld, sagte er sich. Wenn du erst beim Rat der Ältesten gewesen bist, wird die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen.
    Er hatte Noriyoshis Sandale und das Seil sicher in seinem Umhang verstaut und konnte es kaum mehr abwarten, dem Rat beide Gegenstände als Beweisstücke vorzulegen. Und schon bald würde O-hisa ihm als Zeugin zur Verfügung stehen.
    Er würde seinen früheren Status als yoriki zurückerlangen und sich dadurch wieder in die Lage versetzen, offizielle Nachforschungen anstellen zu können und die Verschwörung gegen die Regierung zu vereiteln. Er würde seine Ehre und die der Familie wiederherstellen. Und sein Vater würde

Weitere Kostenlose Bücher