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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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von Neid. Die Vergangenheit war ihm verschlossen; es gab kein Zurück. Die Gegenwart mit all ihren Problemen, den Ängsten und der Einsamkeit war alles, was er besaß.
    »Nun, was meint Ihr?« fragte Koemon und zeigte auf die Übungsgruppe.
    Sano musterte die Schüler, deren Gesichter ihm noch vertraut waren, sowie die verschiedenen Waffen, von denen einige ihm neu waren. Schließlich nickte er und sagte: »Die Zeiten haben sich geändert.«
    Sano, sein Vater und Koemon hatten seit mehreren Jahren darüber diskutiert, ob man bei der Ausbildung an der Akademie auch Waffen benutzen sollte, die nicht zur traditionellen Bewaffnung der Samurai gehörten. Sanos Vater, ein strikter Anhänger des kenjutsu, hatte dafür plädiert, die Übungen lediglich auf den Schwertkampf zu beschränken.
    »Heutzutage muß ein Samurai imstande sein, mit Gegnern zu kämpfen, die mit den verschiedensten Waffen ausgerüstet sind. Außerdem muß die Akademie etwas Neues bieten, um Schüler zu interessieren«, wiederholte Sano das Argument, das er und Koemon stets vorgebracht hatten, um den alten Mann davon zu überzeugen, daß Fertigkeiten im Schwertkampf allein nicht mehr genügten und daß bei der Ausbildung entsprechende Änderungen vorgenommen werden müßten. Doch als Sano nun sah, daß diese Änderungen erst nach seinem Weggang eingetreten waren, überkam ihn ein unerklärliches Gefühl der Beklommenheit, das erst verebbte, als er die Waffe bemerkte, die Koemon in der Hand hielt.
    »Lehrst du die Schüler, mit der jitte zu kämpfen?« fragte Sano erstaunt.
    Koemon zuckte die Achseln. »Nur die Grundlagen. Ich verstehe nicht genug davon.«
    Mehr aus Neugier als aus Notwendigkeit hatte Sano in der Übungshalle der Polizeikaserne mit der jitte trainiert. »Laß es uns einmal versuchen«, sagte er, legte Umhang und Hut ab und rollte die Ärmel auf.
    Während Koemon ein Holzschwert mit bewußt langsamen Bewegungen führte, demonstrierte Sano, wie man mit der jitte eine Schwertklinge ablenken und Gegenschläge führen konnte.
    »Paß auf«, sagte er, »so mußt du parieren!«
    Sano riß die jitte in die Höhe und wehrte einen Schwerthieb ab, der auf seine Schulter gezielt war. »Du mußt den Gegenschlag führen, bevor dein Gegner wieder die Kampfstellung einnehmen kann – so schnell es geht, denn mit dem Schwert hat dein Gegner die größere Reichweite.«
    Sano wirbelte die Waffe herum, so daß der dünne Stiel leicht gegen Koemons Arm prallte. Nachdem er einen weiteren Hieb pariert hatte, stieß er mit dem stumpfen Ende der jitte nach dem Hals des Freundes.
    »Hast du gesehen? Und wenn der richtige Augenblick gekommen ist …« Sano wehrte Koemons nächsten Schlag ab und klemmte die Schwertklinge blitzschnell zwischen den Dornen der jitte fest. Eine scharfe Drehung, und Sano hatte dem Freund das Schwert aus der Hand gewunden. »Wenn du genug Kraft einsetzt, kannst du die Schwertklinge des Gegners zerbrechen.«
    Dann tauschten sie die Waffen, und Sano demonstrierte, wie man es vermeiden konnte, daß die Schwertklinge zwischen die Dornen der jitte geriet, und welche Schritte man tun mußte, um einen Sturz zu verhindern oder einem Hieb auszuweichen, wenn die Klinge festgeklemmt war. Bald war Sano schweißgebadet, doch die willkommenen körperlichen Übungen ließen frische Kraft durch seine Glieder strömen und machten seinen Kopf wieder klar. Es tat ihm gut, in gewohnter Umgebung zu sein. Beinahe hätte er glauben können, wieder hierher zu gehören.
    Nachdem sie den Übungskampf beendet hatten, wandte Koemon sich an die Schüler und rief mit erhobener Stimme, um den Lärm zu übertönen:
    »Das ist alles für heute!«
    Kaum war dieses Kommando ertönt, verharrten die Schüler regungslos. Im Übungsraum breitete sich Stille aus, während die Gegner in den beiden Reihen sich erst voreinander, dann vor Sano und ihrem sensei verbeugten. Dann gingen die Schüler langsam und geordnet zur Tür des Umkleideraums.
    »Wo ist mein Vater?« fragte Sano, als er und Koemon allein waren. »Geschäftlich unterwegs?«
    Koemon zögerte. »Er ist heute nicht hierher gekommen.«
    Wieder stieg ein Gefühl der Beklommenheit in Sano auf. Sein Vater hatte nie einen Arbeitstag versäumt. »Da stimmt doch etwas nicht«, sagte er. »Was ist los?«
    »Ich weiß es nicht.« Koemon wich Sanos Blick aus, was darauf hindeutete, daß er es sehr wohl wußte. Doch entweder wollte er nicht mit der Sprache heraus, oder irgend jemand hatte es ihm verboten.
    Eilig verabschiedete

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